Minilabor für die Krebsdiagnose
15.10.2009, Pressemitteilungen
Ob ein Krebsmedikament einem einzelnen Patienten wirklich hilft, lässt sich kaum vorhersagen: Nur etwa jedes dritte Medikament schlägt direkt an. Forscher am Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik der Technischen Universität München (TUM) haben jetzt ein neues Testverfahren für Krebsmedikamente entwickelt: Mit Hilfe von Mikrochips können sie im Labor feststellen, ob Tumorzellen eines Patienten auf ein Medikament reagieren. In Zukunft könnte der Chip dabei helfen, innerhalb kurzer Zeit das wirksamste Medikament für jeden einzelnen Patienten zu bestimmen.
Laut Deutschem Krebsforschungszentrum Heidelberg erkranken in Deutschland alljährlich etwa 450.000 Menschen an Krebs. In der westlichen Welt ist Krebs die zweithäufigste Todesursache. Zwar stehen den behandelnden Ärzten heute zahlreiche Krebsmedikamente zur Verfügung, doch muss die Therapie genau zum Patienten und zur jeweiligen Krebsart passen, um möglichst wirksam zu sein. Wenn hingegen erst das zweite oder dritte Krebsmedikament anschlägt, verliert der Patient kostbare Zeit, in welcher der Tumor weiterwachsen kann.
Schnelle Hilfe könnten in Zukunft Labors in Miniaturgröße bieten. Ein Labor auf einem Chip (englisch: Lab-on-a-chip) ist ein nur wenige Millimeter großes Plättchen aus beispielsweise Glas, auf dem bioelektronische Sensoren die Vitalität lebender Zellen überwachen. Die Chips sitzen in kleinen Mulden so genannter Mikrotiterplatten und werden mit Tumorzellen eines Patienten bedeckt. Ein Roboter wechselt im Abstand weniger Minuten die Nährflüssigkeit in jeder Mulde mit Chip. Die Mikrosensoren auf dem Chip ermitteln unter anderem Änderungen beim Säuregehalt des Mediums und Sauerstoffverbrauch der Zellen, ein unter der Mikrotiterplatte angebrachtes Mikroskop nimmt zusätzlich Bilder auf. Alle Daten laufen in einem angeschlossenen Computer zusammen, der damit eine Übersicht über die Stoffwechselaktivitäten der Tumorzellen und ihrer Vitalität liefert.
Stoffwechsel verrät die Wirksamkeit
Roboter und Mikrotiterplatte befinden sich in einer Klimakammer, die mit exakt geregelter Temperatur und Luftfeuchtigkeit eine dem menschlichen Körper ähnliche Umgebung schafft und die Tumorzellen vor äußeren Einflüssen schützt, welche die Untersuchungsergebnisse verfälschen könnten.
Nachdem sich die Tumorzellen einige Stunden lang ungestört teilen konnten, trägt der Roboter einen Krebswirkstoff auf. Nimmt ihre Stoffwechselaktivität in den folgenden ein bis zwei Tagen ab, konnte der Wirkstoff die Tumorzellen abtöten: Das Medikament wirkt. 24 Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen können auf diese Weise mit den Mikrochips gleichzeitig untersucht werden.
Dabei spielt nicht nur der Zeitgewinn für die Patienten eine Rolle. Dr. Helmut Grothe, Wissenschaftler am Heinz Nixdorf-Lehrstuhl der TUM erklärt: „Manchmal führt die Therapie mit einem nicht wirksamen Krebsmedikament beim Patienten zu Resistenzen gegenüber anderen Medikamenten.“ Auch solche Resistenzen der Tumorzellen lassen sich mit dem Sensorchip frühzeitig feststellen.
Automatisierung spart Zeit und Kosten
Ein weiterer Vorteil des Systems besteht in der Automatisierung: Der Roboter arbeitet präziser und schneller, als es einem Menschen möglich wäre, und liefert so Ergebnisse innerhalb kurzer Zeit, was wiederum Kosten spart. Die Möglichkeit, an Tumorzellen mehrere Wirkstoffe gleichzeitig zu testen, erleichtert zudem die Suche nach effektiven Wirkstoffen für die individuell auf jeden Patienten abgestimmte Krebstherapie. Pharmaunternehmen könnten den Sensorchip in Zukunft einsetzen, um neue Medikamente zu entwickeln.
Im Rahmen eines weiteren Forschungsprojektes entwickeln die Wissenschaftler des Lehrstuhls einen Sensorchip, der das Tumorwachstum gezielt kontrollieren soll. Der Chip, der einmal in der Nähe des Tumors implantiert werden soll, könnte Krebsmedikamente oder Schmerzmittel nur dann abgeben, wenn der Tumor wächst. Elektrische Impulse steuern die Wirkstoffabgabe. Das Sensorsystem könnte bei inoperablen Tumoren zum Einsatz kommen, zum Beispiel an der Bauchspeicheldrüse.
In der Vergangenheit wurden am Heinz Nixdorf-Lehrstuhl der TUM bereits Mikrochips für verschiedene Forschungsbereiche entwickelt, etwa für die Analyse der Wasserqualität von Bächen und Flüssen. Hier entnimmt eine kleine Pumpe dem Gewässer in regelmäßigen Abständen Proben und leitet sie über einen Schlauch auf einen mit Algen bepflanzten Sensorchip. Da Algen gegenüber Giftstoffen sehr empfindlich sind, eignen sie sich besonders zur Wasseranalyse und reagieren bereits auf kleinste Verunreinigungen: In weniger als einer Minute geht ihre Stoffwechselaktivität, die anhand der Sauerstoffproduktion gemessen wird, dann zurück. Ein Handy leitet die ermittelten Daten an einen Computer weiter, der Alarm schlägt. Für das Frühwarnsystem gewann das TUM-Forscherteam den E.ON Umweltpreis 2008.
Kontakt:
Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Leiter Technologie
Dr.-Ing. Helmut Grothe
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