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Florentiner Kunstobjekt wird am FRM II der TU München untersucht:

Prophet unter der Neutronenlupe

Neutronenstrahlung eröffnet wertvolle Einblicke in die Renaissance-Köpfchen des Florentiner Paradiestores

20.08.2009, Pressemitteilungen

Kunstgeschichte und Physik haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Beim europäischen Forschungsprojekt Ancient Charm gehen die beiden Disziplinen jedoch eine enge Zusammenarbeit ein. So werden an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) der Technischen Universität München (TUM) historisch wertvolle Gegenstände mit Neutronen analysiert. Die Physiker, Archäologen und Restauratoren untersuchen am FRM II in Garching zerstörungsfrei, wie die Objekte gefertigt wurden und mit welchen Methoden man sie am besten restauriert.

Hunderte Touristen bestaunen täglich die bronzene Paradiespforte des Baptisteriums San Giovanni in Florenz. Der Renaissance-Bildhauer Lorenzo Ghiberti zeigt in seinem Meisterwerk aus den Jahren 1425 bis 1442 Szenen aus dem Alten Testament, umrahmt von Propheten- und Evangelistenköpfen. Einen dieser Bronzeköpfe des Florentiner Kunstwerks haben jetzt die die Physiker Lea Canella (TUM) und Ralf Schulze (Universität zu Köln) am Instrument PGAA (Prompte Gamma Aktivierungsanalyse) am FRM II mit Neutronen untersucht. „Nur der anwesende Museumskurator durfte den mehrere Millionen Euro teuren Kopf bewegen“, erzählt Ralf Schulze. „Wir mussten darauf achten, dass er rund um die Uhr sicher verstaut war. Wenn sie nicht untersucht wurde, war die Bronzeplastik in einem Tresor verschlossen.“

Restauratoren aus Florenz hatten an dem Prophetenkopf zwei verschiedene Reinigungs-Methoden ausprobiert: Einen Teil der von den Jahren geschwärzten Bronzeoberfläche reinigten sie mit Laser, einen anderen Teil chemisch mit Salzen und ein dritter Teil des Kopfes blieb ungereinigt. Die Neutronenanalyse im Rahmen des EU-Projekts „Ancient Charm“ sollte ihnen zerstörungsfrei zeigen, welche Reinigungs-Methode die beste ist.

Bei der Untersuchung am FRM II lenkten die Physiker Canella und Schulz die Neutronen so auf die jeweilige Stelle des Bronzestücks, dass sie das Metall nur leicht an der Oberfläche streiften. Durch vertikales Verschieben des Kopfes drang der Neutronenstrahl unterschiedlich tief in das Material ein. Beim Zusammenstoß mit den Neutronen gaben die verschiedenen Materialien in dem Prophetenkopf ein charakteristisches Muster an Gammastrahlen ab. Diese ausfallenden Strahlen maßen die Physiker an ihrem wissenschaftlichen Gerät, sodass sie Rückschlüsse auf die Materialzusammensetzung an der bestimmten Stelle ziehen konnten.

Neutronen dringen dabei weitaus tiefer in die Bronze ein als es etwa Röntgenstrahlen vermögen. „Für derartige Messungen an wertvollen Objekten ist eine hohe Intensität mit an einem Punkt fokussierten Neutronen erforderlich“, erklärt die verantwortliche Wissenschaftlerin am Gerät PGAA, Dr. Petra Kudejova, die für die Universität zu Köln am FRM II forscht. „Diese Möglichkeit haben wir nur an der Forschungs-Neutronenquelle in Garching.“

Im Fall der Bronzeköpfe vom Florentiner Paradiestor stellte sich bei der Analyse mit Neutronen heraus, dass die chemische Restaurierungsmethode die effizientere ist. Auf der derart gereinigten Oberfläche fanden die Physiker nämlich mit ihrer Neutronenanalyse weniger Rückstände des Elements Chlor, welches Bestandteil der schwarzen Ablagerungen ist. So wissen die Restauratoren nun, wie sie die wertvollen Ghiberti-Plastiken reinigen können.

Ein anderes interessantes Ergebnis für die Kunstgeschichte lieferte eine zweite Untersuchung des Bronzekopfs mit Neutronen am Instrument ANTARES (Advanced Neutron Tomography and Radiography Experimental System) am FRM II. Hier wurde statt der Oberfläche die komplette Plastik aus Bronze mit Neutronen durchleuchtet. Auf dem so entstandenen Bild - der Radiographie - wurde sichtbar, dass der Kopf offenbar beim ersten Guss vor fast 600 Jahren ein Loch davon getragen hatte. „Dieses Loch hat Ghiberti später gefüllt“, sagt Prof. Giuseppe Gorini vom physikalischen Institut der Universität Mailand-Bicocca, der das europäische Forschungsprojekt Ancient Charm leitet.

Seine Kollegin Prof. Carla Andreani von der Universität Rom ist begeistert von den Möglichkeiten, die die Neutronenanalyse bietet: „Das zeigt uns, dass die Anwendung von Neutronen einzigartige Informationen liefert. Sie helfen zu verstehen, wie die Figuren gefertigt wurden und wie wir sie am besten erhalten.“ Ziel des Projekts Ancient Charm ist es nun, weitere Methoden zu etablieren, um noch mehr kulturell wertvolle Stücke zerstörungsfrei mit Neutronen untersuchen zu können.

Bildmaterial (zur freien Verwendung unter Angabe des Copyrights):
http://mediatum2.ub.tum.de/?cunfold=807090&dir=807090&id=807090

Links:
EU-Projekt Ancient Charm
Instrument PGAA
Instrument ANTARES

Kontakt:
Dipl. Phys. Ralf Schulze
Universität zu Köln - Institut für Kernphysik
Zülpicher Str. 77, D 50937 Köln
Tel: +49. 221 470 3649 und +49 89 289 14765, E-Mail


Kontakt: presse@tum.de

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