100 Jahre Städtebau an der Technischen Universität München
Ein Lehrstuhl prägte das Gesicht dieser Stadt
07.07.2008, Pressemitteilungen
Am 7. Juli 1908 wurde Theodor Fischer durch Prinzregenten Luitpold zum „ordentlichen Professor an der Architekturabteilung der Technischen Hochschule in München ... mit der Verpflichtung zur Abhaltung von Vorlesungen und Übungen im Entwerfen einschließlich des Unterrichts im Städtebau...“ ernannt. Dies ist die Geburtsstunde der städtebaulichen Lehre an der Technischen Universität. Am heutigen Montag feiert der Lehrstuhl für Städtebau und Regionalplanung an der Technischen Universität München seinen 100. Geburtstag.
Die Technische Hochschule München war vor hundert Jahren eine der ersten, die die städtebauliche Lehre in ihr Curriculum aufnahm. Stadtentwicklung als Thema an sich lag im Trend dieser Zeit: Geprägt von den Eindrücken des Wohnelends in vielen Städten und den Hygieneverhältnissen wurde Stadtplanung immer mehr zu einer gesellschaftspolitischen Aufgabe. Städtebau oder Stadtplanung waren vor hundert Jahren allerdings noch kein eigenes Fach, sondern vielmehr fest in der Architektur verwurzelt. Stadtbaukunst wurde verstanden als praktische Ästhetik, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Theodor Fischer selbst verfügte über eine enorme Schaffenskraft. Die Baulinienplanung Fischers als Leiter des Stadterweiterungsbüros und die daraus resultierende Staffelbauordnung Münchens, also ein Bebauungs- und Erschließungsplan für die gesamte Stadt, der bis 1970 seine Gültigkeit behielt, geht auf ihn zurück. Seine Gebäude prägen auch heute noch die Stadt: Nach seinen Entwürfen und Planungen wurden unter anderen die Schule am Elisabethplatz, das Münchener Puppentheater, die Kirche an der Münchener Freiheit realisiert. Seine stadtgestalterischen Ideen haben ganze Viertel geprägt. Eindrucksvoll sieht man das noch heute am Josephsplatz – der Turm der Josephskirche ist der Fluchtpunkt der Augustenstraße, die an dieser Stelle einen leichten Knick macht. „Solche Plätze sind räumlich schön,“ schwärmt auch die heutige Lehrstuhlinhaberin Professor Sophie Wolfrum, „nicht nur schön anzusehen, sondern auch schön, um sich in diesem Raum zu bewegen.“
Fischer war als Städtebauer bis zum 1. Weltkrieg sehr bedeutsam. Je mehr der Traditionalismus und Reaktionismus um sich griff, desto vehementer forderte er einen Formenwandel. „Überlieferung ist also nicht Ruhe, ist Bewegung. Unveränderlich ist der Kern, das Wesentliche, das Geistige, nicht die Form,“ schrieb er. 1929 emeritierte Fischer.
Sein Nachfolger wurde Adolf Abel, der die für die Fakultät Architektur sehr schwierige Nazizeit quasi in der inneren Emigration erlebte. Der Wiederaufbau des abgebrannten Glaspalastes im Botanischen Garten wurde ihm zu seinem Amtsantritt als Professor an der TU München vom Staat Bayern in Aussicht gestellt. Das Projekt starb für Abel mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die prestigeträchtigen Projekte der Zeit, wie das Haus der Kunst, bauten andere, regiemtreuere Kollegen. Abel hatte während des Dritten Reiches in seinen Vorlesungen großen Zulauf, da er auf einer künstlerischen Art vielen Studenten eine geistige Heimat jenseits des damaligen Zeitgeistes bot. Am Ende der Diktatur ereilte ihn auch noch ein Lehrverbot. Seine Pläne für den Wiederaufbau – seine Idee war Fußgängerwege vom Straßenverkehr zu trennen – wurden nur in der Theatinerpassage verwirklicht. Enttäuscht, weil auch seine Ideen für die Umgestaltung des Hofgartens nicht verwirklicht wurden, zog er sich von München zurück. In Stuttgart baute er schließlich gemeinsam mit Rolf Gutbrod die Stuttgarter Liederhalle – ein Glanzstück der Stadtbaukunst der 50er Jahre.
Von 1954 bis 1960, in der Zeit der Neuorganisation und des Wiederaufbaus, übernahm Georg Werner den Lehrstuhl. Werner war während des Krieges Chefarchitekt und Abteilungsleiter für das Postministerium in Berlin. Eines seiner Frühwerke sieht man noch heute in München, das Verwaltungsgebäude in der Arnulfstraße. Nach dem Krieg wurde er Leiter des Stadtbaureferats von Augsburg und leitete den Wiederaufbau der Fuggerstadt. Die Entrümpelungsphase war noch nicht abgeschlossen und es galt Orte für den Schutt zu finden. In Augsburg ist dies das Rosenaustadium, das sichtbar die Handschrift Werners trägt. In München baute er am Lehnbachplatz das Haus der Victoria-Versicherung, ein siebengeschossiger Stahlskelettbau, die katholische Kirche in Söcking und 1961 entwarf er das Kaufhaus Oberpollinger. Doch er kritisierte München auch für seine zaghafte Haltung in der Modernisierung. 1954 schrieb er: „Der Münchner ist Exprimenten durchaus abgeneigt und liebt es nicht Entschlüsse zu fassen.“
Einer der international wirksamsten Amtsinhaber ist sicher sein Nachfolger, Gerd Albers, der den Lehrstuhl von 1962 bis 1987 übernahm. Albers hatte sein Studium nach dem Krieg an der TH Hannover aufgenommen und in Chicago bei Mies van der Rohe und Hilberseimer am renommierten Illinois Institute of Technology fortgeführt. Promoviert wurde er mit einer Arbeit zu „Über den Wandel der Wertmaßstäbe im Städtebau“ an der RWTH Aachen. „Zu dieser Zeit begannen sich Städtebauer und Architekten auseinander zu entwickeln“, betont Professor Wolfrum, „nun geht es im akademischen Städtebau um politische Handlungsstrukturen.“ Albers war von der soziologisch ausgerichteten Schule in Chicago geprägt. Die Palette der Themen, mit denen sich Albers in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen und Veröffentlichungen auseinandergesetzt hat, spiegeln den Zeitgeist der 60er, 70ger und 80ger Jahre wieder. Der Wiederaufbau wollte den Städtebau der Gründerzeit gründlich revidieren. Projekte, wie der Münster Prinzipalmarkt werden zuerst als reaktionär gescholten. Später gilt dieser dann als nicht getreu genug. Ende der 60iger Jahre werden die „Integrierten Zentren“ aktuell: Läden, Büros, Wohnanlagen über der Tiefgarage treten neben die Steigerung der Geschoßzahlen in Wohngebieten. München ist mit Neuperlach relativ zurückhaltend und ein Nachzügler dieser Tendenz. Anfang der 70er wird Kritik an dieser Verdichtungstheorie laut und die Betonburgen geraten in Verruf. In den 80ger Jahre werden Stadtökologie und Umweltschutz als neue Themen entdeckt. Die systematische und intensiver Erforschung dieser unterschiedlichen Strömungen und der geisteswissenschaftlichen Entwicklung des Städtebaus bis in die Gegenwart bildet den Schwerpunkt innerhalb des wissenschaftlichen Werks. Doch Gerd Albers hat nicht nur den Lehrstuhl und die Disziplin Städtebau, sondern auch die TU geprägt: von 1965 bis 1968 ist er Rektor, bis 1970 Prorektor der Universität.
Ferdinand Stracke folgte 1988 dem Ruf nach München an den Lehrstuhl für Städtebau und Regionalplanung und führte ihn als Ordinarius bis 2003. Zuvor war er von 1975 bis 1988 Professor am Lehrstuhl für Städtebau, Wohnungswesen und Landesplanung und von 1985-87 Vizepräsident der TU Braunschweig. Die Frage nach den praktischen und sozialen Bedürfnissen waren bei ihm Ausgangspunkt des städtebaulichen Entwerfens und Planens und auch grundlegende Basis in seiner Lehre. Am Beginn seiner erfolgreichen Praxis zusammen mit Max Guther in den 60er und 70ern stehen die Planung und Realisierung von Großwohnanlagen, u.a Bonn-Tannenbusch, Leverkusen/ Steinbüchl, Bonn/Beuel und der Wettbewerbsgewinn und Realsierung des dritten Bauabschnitts von Neuperlach Süd. Durchgehendes Thema in der Zeit ist die Auseinandersetzung mit der „städtebaulichen Einheit“, eng gekoppelt an die Entwicklung neuer Wohnungstypologien. Gleichzeitig führt er die Stadtentwicklungsplanungen für Bonn Salzburg, Schweinfurt, Gladbeck, Wilhelmshafen, Giessen, Seligenstadt durch. Die Studie Weimar/Erfurt untersucht Entwicklungsmöglichkeiten der Region auf strategisch-struktureller Ebene. Mit der »Hochhausstudie« und der Studie zum Mittleren Ring in den 90ern wirkte Ferdinand Stracke maßgeblich an der zukünftigen stadträumlichen und strukturellen Entwicklung Münchens mit.
Seit 2003 ist Sophie Wolfrum für den Lehrstuhl verantwortlich. Sie sieht sich wissenschaftlich wieder an der Schnittstelle zwischen Urbanistik und Architektur. „Architektur organisiert den Raum und gestaltet ihn,“ sagt sie. Heute haben Stadtplaner mit Umbruchsituationen zu tun. Nichtmehr die Neugestaltung steht im Mittelpunkt, sondern die Umgestaltung und häufig auch die Umnutzung ganzer Stadtteile. Zum Beispiel in London, wo sich der Hafen von einem Industriegebiet in einen Wohnort wandelt. Zur 850-Jahr-Feier der Stadt München wurden Professor Wolfrum und ihre Studenten angefragt, eine Vision für München und seine Umgebung in den kommenden 50 Jahren zu entwerfen. Wie wird zum Beispiel das Münchner Angerviertel zur 900 Jahrfeier aussehen, oder wie entwickelt sich die Region Zugspitze waren die Fragen, denen sich die Studenten stellten. Dabei geht es neben planerischen Themen durchaus auch um Ökologie und Politik. Denn: Wie wird die Zugspitze genutzt werden, wenn in 50 Jahren dies in Deutschland der einzige Ort sein wird, auf dem noch Schnee liegt?
100 Jahre Städtebau an der TU München – ein Fach im Wandel der Zeit. Zum Ende des Geburtstagsjahres wird es noch eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Architekturmuseum der TU geben: MULTIPLE CITY. Stadtkonzepte 1908 I 2008. Die Ausstellung beleuchtet anhand von 16 Themen die aktuellen Transformationen urbaner Räume und reflektiert diese mit den historischen Stadtkonzepten des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung wird am 3. Dezember in der Pinakothek der Moderne München eröffnet.
Weitere Informationen:
Technische Universität München
Fakultät für Architektur
Professor Sophie Wolfrum
Lehrstuhl für Städtebau und Regionalplanung
Susanne Schaubeck
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Tel. 089/289 22477
susanne.schaubeck@lrz.tum.de
Kontakt: presse@tum.de
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