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Vater des Atom-Eis verstorben

Zum Tod von Prof. Heinz Maier-Leibnitz

Prof. Heinz Maier-Leibnitz

18.12.2000, Pressemitteilungen

Die TU München hat einen großen Gelehrten verloren Prof. Dr.Dr.h.c.mult. Heinz Maier-Leibnitz, emeritierter Ordinarius für Technische Physik der Technischen Universität München, ist am 16. Dezember 2000 im Alter von 89 Jahren verstorben. Mit Prof. Heinz Maier-Leibnitz verliert die Technische Universität München einen der erfolgreichsten Forscher, Lehrer und Wissenschaftspolitiker. Mit seiner Berufung 1952 an die damalige Technische Hochschule brachte er die moderne Physik nach München, aufbauend auf 20 Jahre erfolgreicher Forschung in Göttingen bei James Franck und in Heidelberg bei Walther Bothe. Das Laboratorium für technische Physik, das Maier-Leibnitz von Walther Meissner übernahm, wurde zur Keimzelle der Nuklearen Festkörperphysik, einer heute noch blühenden Forschungsrichtung. Rudolf Mößbauer, ein Doktorand von Maier-Leibnitz, erhielt 1961 den Nobelpreis für Physik, für die Entdeckung der rückstoßfreien Kernresonanzabsorption, einer kernphysikalischen Methode mit einmaligen Anwendungen auf dem Gebiet der Festkörperphysik, Materialforschung, Chemie, Biologie und Archäologie. Mit dem Bau des ersten deutschen Forschungsreaktors (FRM), der 1957 in Betrieb genommen wurde, legte Maier-Leibnitz ein "Atom-Ei" in die Garchinger Isarauen, das zum Symbol für moderne Neutronenforschung wurde. Maier-Leibnitz fing an, die Neutronenoptik und Verfahren zur Untersuchung der Kernspaltung und zur Präzisionsspektroskopie der Neutroneneinfangstrahlung zu entwickeln, die später große wissenschaftliche Bedeutung erlangten. In Würdigung seiner Pionierleistungen auf dem Gebiet der Neutronenphysik, insbesondere für seine Erfindung der Neutronenleiter, ohne die Neutronenstreuexperimente an Kernreaktoren undenkbar wären, verlieh ihm die Deutsche Physikalische Gesellschaft 1996 die Stern-Gerlach-Medaille. Die von ihm vorgeschlagene Methode zur Erzeugung ultrakalter Neutronen ermöglichte fundamentale Forschungen in der Teilchenphysik. Als wissenschaftspolitisch wichtige frühe Beiträge von Maier-Leibnitz sind seine Mitwirkung bei der Gestaltung der Deutschen Atomprogramme und, aus Münchner Sicht, die Einführung des Departmentsystems an der damaligen Technischen Hochschule München zu nennen. Letzteres war die unabdingbare Voraussetzung, seinen Schüler und Nobelpreisträger Rudolf Mößbauer aus den USA zurück zu gewinnen. Zugleich ging davon die Signalwirkung dafür aus, dass man auch an einer deutschen Hochschule wieder unter guten Bedingungen forschen kann. Wie Rudolf Mößbauer kehrten viele talentierte Forscher aus den USA nach Deutschland zurück. Die Krönung der wissenschaftlichen Laufbahn von Maier-Leibnitz stellte der Aufbau des internationalen Neutronenforschungszentrums "Institut Max von Laue-Paul Langevin" (ILL) in Grenoble dar (1967 ? 1972). Alles, was Maier-Leibnitz mit seinen Studenten am Garchinger "Atom-Ei" gelernt hatte, konnte er am ILL an einer maßgeschneiderten Neutronenquelle mit höchsten Flüssen umsetzen. Kalte und ultrakalte Neutronen wurden mit speziellen Quellen erzeugt und mit Neutronenleitern an untergrundfreie Meßplätze weitergeleitet, an denen neuartige Instrumente zur Untersuchung elementarer Wechselwirkungen sowie der statischen und dynamischen Eigenschaften kondensierter Materie und biologischer Substanzen aufgebaut wurden. Mit der neuen Forschungsneutronenquelle FRM II wird die Technische Universität München die von Maier-Leibnitz begonnene Tradition, durch Methodenperfektion Neues zu finden, fortsetzen, wobei Grundlagenforschung, die zu neuen Anwendungen führt, im Vordergrund steht. Als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1974-1979) gelang es Maier-Leibnitz, das verloren gegangene Vertrauen der Öffentlichkeit und Politik in die Wissenschaft und deren Selbstverwaltung zurückzugewinnen. Die Einführung von Sonderforschungsbereichen verbesserte die Forschungsmöglichkeiten an den Hochschulen ganz entscheidend. Besonders verdient machte sich Maier-Leibnitz um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, dem immer seine besondere Aufmerksamkeit galt. Der vom BMBF jährlich verliehene Preis für Veröffentlichungen junger Wissenschaftler trägt seinen Namen. Nach der Emeritierung wandte sich Maier-Leibnitz vehement der Bewältigung der zentralen wissenschaftspolitischen Probleme unserer von Technik geprägten und gezeichneten Gesellschaft zu. In tiefschürfenden Analysen befasste er sich mit den "moralisch sozialen Dilemmata" der Naturwissenschaften und insbesondere der Kernforschung. Er studierte die neue Argumentationslehre, um durch sorgfältiges Abwägen von Für und Wider Entscheidendes und Neues zu lernen und um das so Gelernte der Öffentlichkeit zu vermitteln. Maier-Leibnitz bekleidete viele wichtige Ämter, u.a. war er Präsident der International Union for Pure an Applied Physics (IUPAP), Vorsitzender der Gesellschaft für Naturforscher und Ärzte, Mitglied von drei deutschen und sieben ausländischen wissenschaftlichen Akademien. Von den zahlreichen Ehrungen, die ihm zuteil geworden sind, seien genannt: Bayerischer Verdienstorden, Bayerischer Maximiliansorden, Großes Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland, Offizier der Ehrenlegion der Republik Frankreich, Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, Mitglied und mehrere Jahre Kanzler des Ordens pour le mérite, Ehrendoktorwürden der Universitäten Wien, Grenoble, Reading, Otto-Hahn-Preise der Stadt Frankfurt und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Stern-Gerlach-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Verdienstmedaille in Gold der Stadt Garching, Goldener Ehrenring der Technischen Universität München (2000). Die Technische Universität München hat mit Prof. Heinz Maier-Leibnitz einen großen Gelehrten verloren. Mit dem Physik-Department und seinen zahlreichen Schülern trauert sie um ihren bedeutenden Wissenschaftler, der allen Vorbild war. Die Trauerfeier findet am Freitag, 22. Dezember 2000, um 14 Uhr in der Ev. Laudate-Kirche, Niels-Bohr-Str. 1-3, Garching bei München statt. Anschließend Beerdigung auf dem Städtischen Friedhof Garching.

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