Bauen als soziale Aufgabe: Zum 125. Geburstag von Walter Gropius
23.06.2008, News
In der Liste ehemaliger Studierender der Fakultät für Architektur finden sich zahlreiche prägende Architekten ihrer jeweiligen Zeit: Von Erich Mendelsohn, Ernst May, Heinrich Tessenow, Ella Briggs, über Konrad Wohlhage, Helmut Jahn, Gunter Henn, Christiane Thalgott, Rob Krier, Erich Schneider-Wessling, bis zu Stephan Braunfels, Dietrich Fink, Thomas Herzog, Andreas Hild, Markus Allmann und Amandus Sattler, Gesine Weinmiller oder Muck Petzet. Ein Name, der allerdings besonders hervorsticht, ist Walter Gropius – er wäre heuer 125 Jahre alt geworden.
1903 begann Walter Gropius ein Studium an der Technischen Hochschule München, das er später an der Technischen Hochschule Charlottenburg fortsetzte und 1907 ohne Diplom abbrach. Er steht für eine Zeit, als an den Universitäten noch keine gedankliche Trennung von Bauingenieuren und Architekten vorherrscht. Auch nicht an der TUM.
Der am 18. Mai 1883, vor 125 Jahren, geborene Architekt ging als einer der Erschaffer des modernen Bauens in die Architekturgeschichte ein. Das 1919 von ihm in Weimar gegründete Bauhaus sollte als Schule und Experimentierstätte alle werkkünstlerischen Disziplinen zusammenführen und eine "totale Architektur" vom einfachen Hausgerät bis zur ganzen Stadt generieren.
Mit Walter Gropius wird der optimistische Aufbruch in eine Zeit des Industriellen Bauens eingeleitet. Als Formgestalter entwarf er Inneneinrichtungen, Tapeten, Serienmöbel, Autokarossen und eine Diesellokomotive. Gropius steht für großprojektierte Gebilde wie das Fagus Werk in Alfeld oder den Pan Am Wolkenkratzer in New York. Für die Ausstellung des Deutschen Werkbundes 1914 in Köln baute Gropius mit Meyer zusammen eine Musterfabrik, die sich später ebenfalls als bedeutender Beitrag zur modernen Architektur erweisen sollte. Ab 1926 beschäftigte er sich intensiv mit dem Massenwohnbau als Lösung der städtebaulichen und sozialen Probleme und trat für die Rationalisierung des Baugewerbes ein.
1934 emigrierte Gropius nach Angriffen der Nationalsozialisten auf das Bauhaus nach Cambridge (Massachusetts), wo er als Professor an der Harvard University tätig war. Er verband durch seine Person wie durch sein Werk das kulturelle Deutschland mit Amerika und stand für eine nie wieder gewonnene Internationalität von Gestaltung und Bauproduktion deutscher Herkunft. 1946 gründete Walter Gropius die Gruppe „The Architects Collaborative, Inc.“ (TAC), die für ihn zugleich ein Manifest seines Glaubens an die Bedeutung der Teamarbeit werden sollte. Ein Werk dieses Teams ist das Graduate Center der Harvard University in Cambridge (1949/50).
Wegen seiner theoretischen Texte wurde Gropius als "Funktionalist" gewertet: Bauen war für Gropius eine soziale Aufgabe. Es ging ihm um bessere Lebensverhältnisse für alle. Seine Texte setzten daher unterschiedliche Schwerpunkte zwischen "Wohnorganismus" und "Wohnmaschine". Gropius arbeitete mit den Begriffen "Funktion", "Zweck", "Wesen", auch mit "Vorgang" - und das sowohl, wenn er nach Lösungen für die wissenschaftliche Planbarkeit und Organisation des Baustellenbetriebs suchte, als auch, wenn er die Gebrauchsqualitäten des Wohnhauses analysierte, "die Funktionen des Wohnens, Schlafens, Badens, Kochens, Essens“ (Wolfgang Thöner).
Prof. Winfried Nerdinger hat das Lebenswerk von Walter Gropius anhand der Bestände des Busch-Reisinger Museum der Harvard University und des Bauhaus Archiv komplett aufgearbeitet (Walter Gropius, Hrsg./Bearb. Nerdinger, Mann Verlag, Berlin, 1985, ISBN 3-7861-1448-X) und 1985 im Deutschen Architektur Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Er schreibt: „Auf der von ihm bezogenen Ebene des großen, generalisierenden Architekturlehrers hatte Gropius ungemeinen Erfolg. In der Nachkriegszeit traf seine unpolitisch allgemeine Lehre von der neuen Architektur genau den Zeitgeschmack; er wurde mit internationalen Ehrungen überhäuft und stieg neben Wright, Mies und Le Corbusier zu einem der vier „Gestalter der modernen Architektur“ auf. Sein berühmter Name brachte ihm nach 1945 große Aufträge, die er von einem Architektenteam in zumeist mittelmäßige Architektur umsetzen ließ und damit seine genialen und wegweisenden Arbeiten wie Faguswerk, Werkbundfabrik und Bauhausgebäude verschattete. Der europäische Traum vom Amerikanismus, von der Kraft, mit der sich die Welt verändern ließe, war in der Neuen Welt schnell ausgeträumt.“
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