Neuer Genauigkeitsrekord in der Zeitmessung:
Verzögerter Zeitpunkt Null
24.06.2010, Pressemitteilungen
Physiker der Technischen Universität München (TUM), der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ) haben eine Zeitversetzung beim Herauslösen von Elektronen aus Atomen durch Lichtpulse entdeckt. Dabei wurde das bisher kürzeste Zeitintervall in der Natur gemessen. Bisher glaubte man, dass die Elektronen sofort frei werden. Über ihre Ergebnisse berichten sie in der aktuellen Ausgabe des renommierten Wissenschaftsjournals „Science“.
Trifft Licht auf Atome, werden deren Elektronen angeregt. Bei ausreichender Energiezufuhr verlassen die Elektronen das Atom. Für seine Erklärung dieses Effekts erhielt Albert Einstein 1921 den Nobelpreis. Die Quantenmechanik war geboren. Die Anregung und Photoemission von Elektronen durch Licht, ist heute noch eines der bedeutendsten Phänomene der Quantenphysik. Bisher ging man davon aus, dass das Elektron sich sofort nach dem Auftreffen des Lichtstrahls in Bewegung setzt und definierte diesen Zeitpunkt als Nullpunkt bei der Elektronenanregung durch Licht.
Mit ihrer Ultrakurzzeit-Messtechnik überprüften die Physiker des Labors für Attosekundenphysik (LAP) am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, der Technischen Universität München und der Ludwig-Maximilians-Universität München in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Griechenland, Österreich, und Saudi Arabien diese Annahme.
Dazu schickten die Physiker hochenergetische Laserpulse mit der Dauer von rund vier Femtosekunden (10-15 Sekunden) im nahen Infrarot (NIR) auf Atome des Edelgases Neon. Zu dem Laserpuls synchronisierten die Forscher einen weiteren Lichtblitz, der weniger als 180 Attosekunden dauerte und dessen Wellenlänge sich im Extremen Ultraviolett (XUV) des Spektrums befindet. Mit dem Attosekunden-Lichtblitz lösten die Physiker die Elektronen aus den Orbitalen. Dabei sorgte der Lichtblitz dafür, dass entweder Elektronen aus dem äußeren 2p- oder dem näher zum Atomkern liegenden 2s-Orbital die Atome verließen. Mit dem synchronisierten Femtosekunden-Laserpuls zeichneten die Physiker dann auf, wann die rasenden Elektronen das Atom verließen.
Bei den Messungen stellte sich heraus, dass trotz zeitgleicher Anregung der Elektronen, diese das Edelgasatom mit einem Zeitversatz von rund 20 Attosekunden verließen. „Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer milliardstel Sekunde, ein unvorstellbar kleiner Zeitraum. Doch eines der Elektronen verlässt das Atom messbar früher als das andere. Das heißt, dass Elektronen nach Anregung durch Licht kurz zögern, bevor Sie das Atom verlassen“, erklärt Reinhard Kienberger, Professor am Lehrstuhl für Experimentalphysik (E 11) der TU München und Leiter der Forschungsgruppe Attosekundendynamik am MPQ.
Herauszufinden, was dieses Zögern bewirkt, war auch eine Herausforderung an die theoretischen Physiker des LAP-Teams um Dr. Vladislav Yakovlev (LMU) und seine Kollegen von der TU Wien (Österreich) und der National Hellenic Research Foundation (Griechenland). Sie konnten mit aufwendigen Berechnungen den Effekt qualitativ bestätigen, kamen allerdings auf einen zeitlichen Versatz von nur fünf Attosekunden. Die Ursache dieser Diskrepanz dürfte in der Komplexität des Neonatoms liegen, das neben dem Kern aus zehn Elektronen besteht. „Der Rechenaufwand für das gesamte Atommodel unter Einbezug aller Wechselwirkungen zwischen allen Elektronen, übersteigt die Rechenkapazität von heutigen Supercomputern “, erklärt Yakovlev.
Immerhin konnten diese Untersuchungen die wahrscheinliche Ursache für das „Zögern“ der Elektronen zu Tage fördern. Die Forscher gehen davon aus, dass die Elektronen nicht nur mit ihrem Atomkern interagieren, sondern sie sich ebenso untereinander beeinflussen. „Die Elektron-Elektron Wechselwirkung kann dazu führen, dass es ein Weilchen dauert, bevor das von der einfallenden Lichtwelle geschüttelte Elektron von seinen Artgenossen losgelassen wird und das Atom verlassen darf“, sagt Dr. Martin Schulze, Postdoc im LAP-Team.
„Unsere Ergebnisse bedeuten einen weiteren wichtigen Einblick in die Wechselwirkungen von Elektronen in Atomen“, erläutert Prof. Ferenc Krausz. Solche, bis heute nur unzureichend verstandenen Prozesse, haben entscheidenden Einfluss auf das Verhalten von Elektronen in den winzigsten Dimensionen. Elektronenbewegungen spielen bei allen elementaren Abläufen biologischer und chemischer Prozesse eine bedeutende Rolle. Ebenso bestimmen sie die Geschwindigkeit von Mikroprozessoren, den Herzstücken von Computern. Dafür ist die schnellste Messtechnik der Welt gerade gut genug: der beobachtete 20-Attosekunden-Versatz in der Austrittzeit der Elektronen ist das kürzeste jemals gemessene Zeitintervall in der Natur.
Die Forschungsarbeiten wurden unterstützt durch Mittel des Exzellenzclusters Munich-Centre of Advanced Phtonics, die Max-Planck-Gesellschaft und King Saud University. Weitere Unterstützung erhielt das Projekt aus Mitteln der National Science Foundation (USA), des Österreichischen Wissenschaftsfonds, der Europäischen Union (Marie-Curie-Programm und ERC Starting Grant) und dem Sofia-Kovalevskaya-Programm der Alexander von Humboldt Gesellschaft.
Originalveröffentlichung:
Delay in Photoemission
M. Schultze, M. Fieß, N. Karpowicz, J. Gagnon, M. Korbman, M. Hofstetter, S. Neppl, A. L. Cavalieri, Y. Komninos, Th. Mercouris, C. A. Nicolaides, R. Pazourek, S. Nagele, J. Feist, J. Burgdörfer, A. M. Azzeer, R. Ernstorfer, R. Kienberger, U. Kleineberg, E. Goulielmakis, F. Krausz, V. S. Yakovlev
Science, 25. Juni 2010 Vol. 328. no. 5986, pp. 1658 - 1662 – DOI-Nr.: 10.1126/science.1189401
Bildmaterial:
http://mediatum.ub.tum.de/node?cfold=981743&dir=981743&id=981743
Kontakt:
Prof. Dr. Reinhard Kienberger
Technische Universität München
Physik-Department (E11)
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Str. 1,
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Tel: +49 89 32905-731,
Fax: +49 89 32905-361
E-Mail - Internet: http://www.attoworld.de/kienberger-group/index.php
Prof. Dr. Ferenc Krausz
Ludwig-Maximilians-Univ. München, Fakultät f. Physik
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
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