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Pressegespräch an der Technischen Universität München:

Garchinger Neutronenquelle kann Europa mit Radioisotopen versorgen

Szintigramm eines Körpers mit dem Radioisotop Technetium-99m

30.06.2009, Pressemitteilungen

Krebsdiagnosen und Organuntersuchungen müssen weltweit verschoben werden. Denn die hierfür nötigen Radioisotope sind knapp, weil eine der nur fünf produzierenden Neutronenquellen in der westlichen Welt unvorhergesehen stillsteht. Mit einem geringen Finanzaufwand von 5,4 Millionen Euro kann die Forschungs-Neutronenquelle FRM II der Technischen Universität München (TUM) so aufgerüstet werden, dass auch sie das dringend benötigte Radioisotop Molybdän-99 herstellen kann.

Das ist das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie der TUM und des Institut National des Radioéléments in Belgien, die am 30. Juni bei einem Pressegespräch im großen Senatssaal der TUM vorgestellt wurde. „Die fünf größten Produktionsstätten von Molybdän-99 in der Welt sind alle 40 Jahre oder älter, ihre Laufzeiten neigen sich dem Ende zu“, sagt TUM-Präsident Prof. Wolfgang A. Herrmann. „In Garching haben wir eine nagelneue Hochfluss-Neutronenquelle, die im Vergleich zu einem Neubau trotz der erforderlichen atomrechtlichen Genehmigung schnell und einfach zur Molybdän-99-Produktion ertüchtigt werden und noch über Jahrzehnte ihren Beitrag zur Radioisotopenversorgung leisten kann.“

Molybdän-99 ist der Ausgangsstoff für das in der Nuklearmedizin eingesetzte Technetium-99m. Diese Substanz wird für sog. Szintigrafien benötigt, mit denen man Krebs und Störungen der Organfunktionen diagnostizieren kann. „Jeden Tag lassen sich weltweit 70.000 Patienten szintigrafisch untersuchen, bei 70 Prozent dieser Untersuchungen kommt Technetium-99m zum Einsatz“, sagt Prof. Andreas Bockisch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin. In Deutschland werden jährlich etwa drei Millionen Untersuchungen mit Technetium-99m und über 100.000 Therapien mit anderen Radioisotopen durchgeführt. „Deutschland ist damit der größte Verbraucher dieser Arzneimittel in Europa. Wir stehen nicht nur als Hauptabnehmer in der moralischen Pflicht, diese Radioisotope zu produzieren, sondern auch aufgrund der weltweiten Unterversorgung“, sagt Prof. Bockisch. „Die weltweite Nachfrage nach Radioisotopen steigt derzeit im hohen einstelligen Bereich pro Jahr“, ergänzt TUM-Präsident Herrmann. Das liege unter anderem an der wachsenden medizinischen Versorgung in Schwellenländern und an der zunehmenden Zahl von Senioren in Europa und den USA, die immer häufiger nuklearmedizinische Untersuchungen benötigen.

Die Szintigrafie kann mit den dabei entstandenen Bildern zum Beispiel Entzündungsherde oder Krebsmetastasen darstellen. Für eine Szintigrafie wird das Radioisotop Technetium-99m an ausgewählte Moleküle gekoppelt. Diese bringen das Radioisotop dann gezielt zu einer bestimmten Stelle im Körper, zum Beispiel zu Krebsmetastasen im Knochengerüst. Dort sammelt sich mit den Transportermolekülen auch das Technetium-99m an. Es sendet Gammastrahlen aus, die von einer Spezialkamera aufgenommen werden können. So macht das radioaktive Technetium-99m zuverlässig unerwünschtes Gewebe oder die Struktur von Organen sichtbar. Die Vorstufe Molybdän-99 von Technetium-99m wird weltweit in Neutronenquellen aus der Spaltung von Uran durch Neutronen erzeugt.

Die Forschungs-Neutronenquelle der TUM kann laut der neuen Machbarkeitsstudie innerhalb von fünf Jahren so aufgerüstet werden, dass sie Molybdän-99 produziert. Dazu wird ein bereits vorhandenes Fingerhutrohr in der Nähe des Neutronen freisetzenden Brennelements so umgebaut, dass die zu bestrahlenden Proben genau hineinpassen. Für die Aufrüstung des FRM II wären 5,4 Millionen Euro verteilt auf fünf Jahre nötig. „Das ist äußerst wenig im Vergleich zu den Kosten, die unser Gesundheitssystem in Deutschland schultert. Das ist auch in Relation zu sehen mit dem Bau einer neuen Neutronenquelle, die mindestens 300 Millionen Euro kostet“, sagt Prof. Winfried Petry, Wissenschaftlicher Direktor des FRM II. Der Freistaat Bayern hat für die Finanzierung der Aufrüstung bereits 1,2 Millionen Euro zugesagt. Die Mittel werden für Ingenieurskosten, den Ausbau im Reaktorbecken und den Ausbau des internen Transportweges, zum Beispiel für die Erweiterung eines Lastenaufzugs, benötigt.

Geplant ist, dass die Proben am FRM II innerhalb von sechs Tagen mit Neutronen bestrahlt werden, dann für wenige Stunden abklingen und schließlich in dickwandige Abschirmbehälter verpackt werden. Von Garching werden sie dann zu einer Anlage transportiert, die das Molybdän chemisch so verarbeitet, dass es beim Arzt in sogenannten Technetium-Generatoren eingesetzt werden kann. Henri Bonet, langjähriger CEO einer solchen Anlage des Institut National des Radioéléments in Belgien, rechnet vor: „Der FRM II wird während einer Woche Betriebszeit so viel Molybdän-99 produzieren, dass er damit fast ganz Europa eine Woche versorgen kann. Knapp fünf Millionen nuklearmedizinische Untersuchungen mit Technetium-99m werden pro Jahr dank der TUM-Neutronenquelle möglich sein.“

Bei einer durchschnittlichen Betriebszeit von 240 Tagen im Jahr würde der FRM II ungefähr 65 Prozent des europäischen Jahresbedarfs produzieren, das entspricht etwas mehr als einem Achtel des derzeitigen Weltbedarfs. Das würde die weltweit nur fünf Neutronenquellen (in Belgien, Frankreich und Holland sowie Südafrika und Kanada) unterstützen und die internationale Molybdän-99-Versorgung sichern. Gleichzeitig würde der FRM II auch die drei in den vergangenen Jahren abgeschalteten europäischen Neutronenquellen (DIDO in Großbritannien, Siloe in Frankreich und FRJ-2 in Jülich) ersetzen.

Die Forschungs-Neutronenquelle FRM II ist auch deshalb gut geeignet für die Produktion von Radioisotopen, weil sie einen hohen Neutronenfluss erzeugt. Nur so lassen sich ausreichende Mengen an Ausgangsmaterial für die Arzneimittel herstellen. Hinzu kommt, dass am FRM II mit Dr. Ingo Neuhaus auch die nötige Expertise in der Radioisotopen-Produktion vertreten ist: Der Technische Direktor der Forschungs-Neutronenquelle hat bereits Erfahrung an der Neutronenquelle FRJ-2 in Jülich gesammelt, die bis zu Ihrem Abschalten im Jahr 2006 ebenfalls Molybdän-99 produzierte. Am FRM II leitet er bereits die Produktion anderer Radioisotope, die in der Medizin eingesetzt werden: z.B. Rhenium-188 zur Therapie der Gefäßverengung bei Arterien.

TUM-Präsident Prof. Herrmann kündigte an, dass der traditionsreiche Lehrstuhl für Radiochemie, der in unmittelbarer Nachbarschaft zur Neutronenquelle angesiedelt ist, im Hinblick auf die zukünftige Molybdän-99-Produktion am FRM II eine moderne medizinisch-pharmazeutische Ausrichtung erhalten werde.

Zum wiederholten Mal ist derzeit ist der größte Produzent von Radioisotopen für die Medizin in Kanada ausgefallen. Seit Mitte Mai stockt die Produktion für mindestens drei Monate. Das hat auch Konsequenzen für Deutschland, wie Prof. Bockisch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin, beim Pressegespräch betont: „Die NRU-Neutronenquelle in Kanada versorgt vor allem die USA mit Radioisotopen. Die Amerikaner werden nun vermehrt Molybdän-99 aus Europa abziehen.“ Bereits im vergangenen Herbst waren die Radioisotope wegen der gleichzeitigen Unverfügbarkeit aller drei europäischen Molybdän produzierenden Neutronenquellen äußerst knapp geworden. „Viele Kollegen mussten Patienten nach Hause schicken, weil sie keine Radioisotope mehr hatten“, sagt Bockisch. Im ersten Quartal 2009 erhielten die Nuklearmediziner in Deutschland nur zwei Drittel der benötigten Mengen.


Kontakt:
Prof. Dr. Winfried Petry
Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz
Technische Universität München
85748 Garching
Tel.: +49.89.289.14704
Fax: +49.89.289.14995
E-mail: winfried.petry@frm2.tum.de

Kontakt: presse@tum.de

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