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Nobelpreisträger und Schöngeist

Ernst Otto Fischer wird 85 Jahre alt

11.03.2003, Press releases

Brückenbauer zwischen chemischen Welten

Ernst Otto Fischer, Nobelpreisträger für Chemie (1973) begeht am 10. November 2003 seinen 85 Geburtstag. 1964 trat er die Nachfolge von Prof. Walter Hieber am Lehrstuhl für Anorganische Chemie der TU München an und wirkte dort zwanzig Jahre lang als Ordinarius. Über Jahrzehnte begründete der Wissenschaftler die moderne Metallorganische Chemie sowie zahlreiche Anwendungsgebiete und führte den Fachbereich zu weltweitem Erfolg.

Wolfgang A. Herrmann, Präsident der TU München und seit 1985 Nachfolger Fischers am Lehrstuhl für Anorganische Chemie, gratuliert dem Nobelpreisträger:

"Impulsiv und nachdenklich, weltgewandt und heimatliebend, Naturwissenschaftler und Schöngeist: Das sind die Gegensätze, die den Münchner Chemie-Nobelpreisträger Ernst Otto Fischer als Persönlichkeit so spannend machen. Vor 85 Jahren in München geboren und immer hier geblieben ("Du bleibst hier, und zwar sofort!" Karl Valentin), waren es die politischen Katastrophen der ersten Jahrhunderthälfte, die im jungen Fischer die Sehnsucht nach der benediktinischen "stabilitas loci" reifen ließ. Den Kriegsurlauber faszinierten die Vorlesungen des Anorganikers Walter Hieber an der Technischen Hochschule München. Der spätere akademische Lehrer dozierte so fesselnd, dass sich der Absolvent des humanistischen Theresiengymnasiums der Chemie zuwandte statt wie beabsichtigt Kunstgeschichte zu studieren.

Walter Hieber (1895-1976) hatte damals das Gebiet der Kohlenmonoxid-Komplexe von Metallen erschlossen. Es sollte sich später nicht nur als Basis für die molekulare Katalysechemie der Industrie erweisen, sondern gab auch dem jungen Fischer die Träume, aus denen der Nobelpreis wurde: Metalle mit Kohlenwasserstoff-Fragmenten zu verbinden und mit diesen neuen Bindungen eine ungeahnte Reaktivitätsvielfalt der Metalle hervorzuzaubern. Die Welten der anorganischen und der organischen Chemie zu überbrücken, darauf lief Fischers Lebenswerk hinaus. Von energie- und ressourcensparenden Katalyseprozessen - vulgo "grüne Chemie" - wäre heute nicht die Rede, hätten sie der Münchner Ernst Otto Fischer und sein wissenschaftlicher Rivale Geoffroy Wilkinson in London nicht in der Grundlagenforschung vorbereitet.

Grundlagenforschung. Fischer investierte keinen Gedanken in die Praxisumsetzung seiner fabelhaften Resultate. Ihn Trieben die Neugier und das Staunenkönnen. Daraus schöpfte er die Begeisterungsfähigkeit für uns Jungen, die wir nach seiner Meinung weder rauchen noch heiraten sollten. Dass der Junggeselle selbst erst nach seiner Emeritierung in Traudl Haas die Zweisamkeit des Alters fand, hätte der umtriebige Professor von damals wohl kaum für möglich gehalten. Die Chemie war sein Leben, und die Schüler waren seine Familie. Der Spitzenwissenschaftler verlangte Spitzenergebnisse gegen die harte Währung des Vertrauens. Das hat die Jungen geprägt.

Auch in der Vorlesung nicht nur Fakten: Ernst Otto Fischer entwarf sein Fach Chemie wie ein Gemälde. Wer als Student nicht verstand, warum er mitten in die anorganische Vorlesung Adalbert Stifters "Nachsommer" hineinsetzte, der hat es vielleicht später begriffen: Am Gegenständlichen und Wandelbaren das Grundsätzliche zu zeigen, Fortdauerndes herauszustreichen, das war die Absicht des akademischen Lehrers - Naturwissenschaft, Literatur und Kunst nicht im Widerspruch. Chemie wollte er als Kulturleistung begriffen haben.

Aber es hat auch gekracht in der Vorlesung, weil nämlich die Experimente funktionierten. Da kamen die Sinne zu ihrem Recht, die unser Fach als intellektuelles Handwerk genauso braucht wie den abstrakten Denker ("Ja, es riecht nicht alles gut, was kracht." Karl Valentin).

Wenn es sein musste, mischte sich Fischer auch politisch ein. Anno 1968 etwa, als selbst die Studentenrevolten seinem liberalen Geist zu weit gingen: Mit Hitlers "Mein Kampf" und der Mao-Bibel unterm Arm kam er in die Metallhydrid-Vorlesung - zur Teufelsaustreibung mit Literaturangaben. Man musste in dieser Stunde zweimal die große Tafel wischen... .

Fischer ist ein Spross beider Münchner Universitäten: An der "TH" legt er die Grundlagen des Erfolgs und wird als "Diätendozent" mit der Entdeckung des "Dibenzolchrom" über Nacht weltbekannt (1955). Bald "persönlicher Ordinarius" an der Universität (1957), zieht er begeisterte Schüler an, holt internationales Fachpublikum ins Labor, um schließlich an seiner alma mater den Lehrstuhl des Altmeisters Hieber zu übernehmen (1964 - 1984). In dieser Zeit entwickelte sich sein Institut zur feinsten internationalen Adresse.

Fischers großer internationaler Erfolg war bei aller schöpferischen Kraft auch eine Managementleistung. Rechtzeitig erkannte er, dass die modernen instrumentell-analytischen Techniken (Schwingungsspektroskopie, Massen- und Kernresonanz-Spektroskopie) die Molekülchemie revolutionieren würden. Die Revolution handhabte er so, dass er seine besten Nachwuchskräfte in alle Welt zu den Spezialisten schickte und so das neueste methodische Wissen akquirierte. In München wurde zusammengefügt und weiter entwickelt, was man draußen gelernt hatte. In der Anwendung auf die neue Disziplin der Metallorganischen Chemie, die bei Fischer in München ihre Wiege hat, setzte er ein Ergebnis nach dem anderen in die wissenschaftlichen Journale. Bis dahin ungesehene Bindungssituationen zwischen Kohlenstoff und Metallen (Doppel- und Dreifachbindungen, aromatische und olefinische Bindungen) wurden in meisterlichen Experimenten erschlossen und mit wissenschaftlicher Akribie beschrieben. Für das "gemeinsame Abenteuer Forschung" dankte er seinen Ehemaligen für den Nobelpreis, den er neidlos als Leistung der Mitarbeiter bezeichnete. Im Gegensatz zu anderen hatte er auf den Nobelpreis nicht spekuliert. Und so blieb die kindliche Freude damit und der Laureat bescheiden. Heute lebt er zufrieden in Solln und ist viel auf Reise.

Aus Fischers Elfenbeinturm kamen engangierte junge Chemiker, die ihr Wissen in der aufblühenden Industrie des Wirtschaftswunders umsetzen wollten: Walter Hafner und Reinhard Jira wären hier zu nennen. Beim Münchner "Consortium für Elektrochemische Industrie" erfanden sie ein katalytisches Verfahren zur Herstellung der Industriechemikalie Acetaldehyd aus dem Rohstoff Ethylen (1957/59). Der geniale Wurf schrieb Chemiegeschichte und verlieh der jungen Metallorganischen Chemie Schubkraft von der Anwenderseite. Heute ist das Fach in vielen Industrie- und Hochschullabors sowie in den Lehrplänen aller Universitäten fest verankert.

Den Nobelpreis teilte sich Ernst Otto Fischer mit Geoffroy Wilkinson (1921 - 1996). Es war der scharfe wissenschaftliche Wettbewerb, der die beiden fast gleichaltrigen Chemiker zu Höchstleistungen trieb. Der Engländer Wilkinson war intellektuell besonders hartnäckig, aber Fischer war standfester, konsequenter, emsiger und impulsiver. Fischer wusste, dass "alle Dinge in der Nacht größer und schreckhafter sind als am Tage und kleiner werden, wenn sie deutlicher zu erkennen sind" (Ludwig Thoma, "Wittiber"). Das gab ihm Gelassenheit im wissenschaftlichen Wettstreit. Der Nobelpreis würdigte zeitgerecht - Fischer war 55 - die originelle Entwicklung von chemischen Stoffklassen, die durch Metall-Kohlenstoff-Bindungen geprägt sind.

Fischer erforschte als gebildeter Humanist die handwerklich und methodisch schwierige moderne Chemie der Moleküle. Seine Stärke war das Erkennen der großen Linien und Zusammenhänge. Als Pionier der Metallorganischen Chemie prägte er eine Ära. Ein großer Bayer, mit dem München leuchtet."

Wolfgang A. Herrmann

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