Architekturstudenten der TU München entwerfen Leichtbau-„Gletscherhotel“ für Grönland
Übernachten im Eissplitter
11.08.2010, Press releases
Mit unberührten Landschaften und grandiosen Gletscherpanoramen könnte Grönland ein Traumreiseziel sein. Doch die wenigen Touristen, die bislang die Insel besuchen, bleiben nicht lang – es fehlt an Hotels. Denn wie soll man in der Abgeschiedenheit bauen, ohne dabei die beinahe unberührte Natur zu zerstören? Architekturstudenten der Technischen Universität München (TUM) haben nun in Zusammenarbeit mit grönländischen und dänischen Experten „Gletscherhotels“ entworfen, die mit ihrer transportablen Leichtbaukonstruktion die Umwelt wenig belasten. Sie könnten ein wichtiger Schritt bei einer nachhaltigen Entwicklung des Tourismus in Grönland sein.
Majestätisch erhebt sich der Russell-Gletscher 50 Meter hoch über ein felsiges Tal. Immer wieder brechen gewaltige Eisbrocken aus dem Massiv und stürzen krachend in einen Fluss. Bislang konnten nur wenige Menschen dieses Naturschauspiel genießen. Zwar landen regelmäßig Flugzeuge aus Kopenhagen im 25 Kilometer entfernten 500-Einwohner-Ort Kangerlussuaq, und auch von Kreuzfahrtschiffen aus gehen Touristen an Land. Doch die wenigen Gäste bleiben nicht lang, weil es nach wie vor kaum Straßen und Übernachtungsmöglichkeiten gibt. „Die Grönländer wünschen sich deshalb Ideen für eine touristische Entwicklung“, sagt TUM-Architekt Prof. Richard Horden. Weil sein Lehrstuhl für Gebäudelehre und Produktentwicklung seit Jahren mit Dänemarks Technischer Universität (DTU) und dem zugehörigen Arctic Technology Center (ARTEK) im grönländischen Sisimiut kooperiert, bekamen Architekturstudenten der TUM die Aufgabe „Gletscherhotels“ zu entwerfen, in denen rund 20 bis 40 Reisende eine perfekte Aussicht auf den Eisriesen haben können.
„Allen war schnell klar, dass man dort nicht einfach ein normales Haus bauen kann“, sagt Projektleiterin Nadine Zinser-Junghanns. Die Entwürfe zeigen statt massiver Bettenburgen einzelne Kabinen für jeweils zwei Gäste. Wie Eissplitter oder Steinbrocken verteilen sie sich über den Hang gegenüber dem Gletscher. Und kommen fast ganz ohne Fundament aus. „Wir wollten so wenig wie möglich in die unangetastete Landschaft eingreifen“, sagt Studentin Bettina Kraus. „Unsere Kabinen stehen deshalb auf drei höhenverstellbaren Stützen.“ Ein wenig erinnern sie an UFOs – und die Assoziation ist gar nicht einmal so abwegig. Denn das Bauen mit leichten, flexiblen und gleichzeitig belastbaren Materialien nach dem Vorbild der Raumfahrt gehört zu den Forschungsschwerpunkten des Lehrstuhls.
Bettina Kraus und Niya Kiryakova etwa nutzen ein Aluminium-Verbundmaterial für die Außenhülle. Es kann unmittelbar mit den Stützpfeilern verbunden werden, sodass ein bei ähnlichen Konstruktionen üblicher Rahmen überflüssig wird. Das macht die Kabinen noch leichter, was wiederum für Bau und Transport eine große Rolle spielt: Die Hotels können mangels Industrie nicht in Grönland errichtet, sondern müssen auf dem europäischen Festland vorgefertigt werden. Die Architekten unterteilen die Hoteleinheiten deshalb nochmals in zwei bis drei Module, die standardisiert produziert, in Containern verschifft und am Zielort zusammengesetzt werden können. Auch einen größeren Gemeinschaftsbau mit Restaurant und Aufenthaltsraum kombinieren die meisten Entwürfe nach dem Bausatzprinzip aus mehreren Kabinen-Modulen. Verbunden werden die einzelnen Hotelbereiche über Stege, die ebenfalls auf Stützen stehen.
Lösen mussten die Architekten auch Ver- und Entsorgungsprobleme. Smaranda Marculet und Berit Kleine-Möllhoff lassen in ihrem Entwurf Platz für chemische Toiletten, Sophie Backhouse und Julien Lafitte ummanteln die gesamten Kabinen mit Solarzellen. Das Hotel soll so autark wie möglich arbeiten. „Wir wollen die Entwicklung Grönlands mit guter Bauqualität bei niedrigem Energieverbrauch unterstützen“, betont Prof. Horden.
Luxus dürfen die Touristen deshalb nicht erwarten, die Kabinen bieten Platz auf lediglich rund 15 Quadratmetern. „Aber die Hotelgäste können sich unmittelbar in der Natur fühlen und gleichzeitig geborgen wie in einem Iglu“, erklärt Bettina Kraus. Panoramafenster geben den Blick auf den Gletscher frei, durch ein zweites Fenster lässt sich zu bestimmten Jahreszeiten vom Bett aus das Nordlicht beobachten.
Demnächst reisen die Studenten nach Kopenhagen, um ihre Ideen möglichen dänischen Investoren vorzustellen. Anschließend soll an der TU München ein Prototyp für die „Gletscher-Kabine“ entstehen. Künftigen Touristen geben die Architekten nach ihrer eigenen Exkursion zum Russell-Gletscher schon einmal einen Tipp mit auf den Weg: „Es ist dort gar nicht immer so kalt, wie man denkt“, sagt Nadine Zinser-Junghanns. „15 Grad sind keine Seltenheit.“
Rückfragen:
Dipl.-Ing. Nadine Zinser-Junghanns
Technische Universität München
Lehrstuhl für Gebäudelehre und Produktentwicklung
E-Mail: nadine.zinser@lrz.tum.de
Bilder zum Download:
http://mediatum2.ub.tum.de/?cunfold=992962&dir=992962&id=992962
Kontakt: presse@tum.de
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