Menschliche Bescheidenheit, wissenschaftliche Leidenschaft
TU München trauert um Physik-Nobelpreisträger Rudolf Mößbauer
21.09.2011, Press releases
Die Technische Universität München (TUM) trauert um Physik-Nobelpreisträger Professor Rudolf Mößbauer. Der frühere Ordinarius für Experimentalphysik der TUM (1965-1997) erhielt die höchste wissenschaftliche Auszeichnung 1961 für den experimentellen Nachweis der rückstoßfreien Kernresonanzabsoprtion. Das „Mößbauer-Spektrometer“, mit dem die chemische Umgebung bestimmter Elemente ermittelt werden kann, wurde später etwa bei Marsmissionen eingesetzt. Der herausragende Wissenschaftler baute in den 60er Jahren an der TUM das Physikdepartment nach amerikanischem Vorbild auf. Mößbauer starb am 14. September im Alter von 82 Jahren, teilte seine Familie mit. TUM-Präsident Wolfgang A. Herrmann sagte: „Wir haben eine wahrhaft große, international hoch angesehene Wissenschaftspersönlichkeit verloren.“
„Als leidenschaftlicher Forscher und als äußerst bescheidener Mensch hat Rudolf Mößbauer dem wissenschaftlichen Fortschritt gedient“, sagte Herrmann. „Mit Vehemenz hat er sich zudem für bessere Bedingungen für Forschung und Lehre eingesetzt. Zum weltweit hohen Renommee der Technischen Universität München als exzellenter und modern organisierter Hochschule hat Mößbauer mit seiner Rückkehr aus den USA und der damit verbundenen Einführung der Department-Struktur wesentlich beigetragen. Unser tief empfundenes Beileid gilt seiner Familie, seinen Freunden und Schülern.“
Die von Rudolf Mößbauer entwickelte Spektroskopie wird in vielen Bereichen der Forschung eingesetzt. Mit ihrer Hilfe werden Katalysatoren weiterentwickelt und Supraleiter untersucht. Auch die vor einigen Jahren auf dem Mars gelandeten Roboter „Spirit“ und „Opportunity“ haben unter anderem Mößbauer-Spektrometer an Bord. Mit diesen entdeckten die Rover auf ihren kilometerlangen Touren unter anderem Minerale, die nur in Gegenwart von Wasser entstehen und konnten so beweisen, dass es auf dem Mars einst nicht nur Wasser sondern auch eine viel sauerstoffreichere Atmosphäre als heute gegeben haben muss.
Den Mößbauer-Effekt kann man mit einem Vergleich erklären: Will ein Junge von einem kleinen Boot an Land springen, so landet er im Wasser, weil das Boot durch den Rückstoß beim Absprung nach hinten weg fährt. Liegt das Boot in einem zugefrorenen See, so kann das Boot nicht weg und der Junge landet sicher am Ufer. Die Rolle des Bootes haben in Mößbauers Experimenten Iridium-191-Atome, die Gammastrahlung aussenden. Wie der Junge überträgt das davoneilende Gamma-Teilchen einen gewaltigen Stoß auf das Atom und verliert dabei etwas Energie. Ist das Atom fest in einen Kristall eingebaut, geht es dem Lichtteilchen unter bestimmten Bedingungen wie dem Jungen auf dem zugefrorenen See: Es kann seine ganze Energie mitnehmen. Trifft es nun auf ein exakt gleichartiges Atom, kann es diese Energie übertragen.
Das Mößbauer-Spektroskop nutzt diesen Effekt: Um beispielsweise die chemische Bindung des Eisenatoms in unserem roten Blutfarbstoff zu untersuchen, benutzt man Kobalt-57, das bei seiner Umwandlung in Eisen-57 Gamma-Strahlung aussendet. Doch die Eisenatome im Hämoglobin und in der Gamma-Quelle haben unterschiedliche chemische Umgebungen. Der winzige Unterschied reicht aus, um die Energieübertragung vom Gamma-Teilchen zum Eisenatom in der Probe zu verhindern.
Mößbauer fand heraus, wie man Sender und Empfänger wieder aufeinander einstimmen kann. Dazu nutzte er den Doppler-Effekt: Das Martinshorn eines auf uns zu rasenden Feuerwehrautos klingt zunächst höher, und wenn das Fahrzeug an uns vorbei gefahren ist tiefer. Genau das realisierte Mößbauer in seinem Versuchsaufbau: Indem er die Gammastrahlenquelle mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf die Probe zu oder von ihr weg bewegte, konnte er genau ermitteln, bei welcher Geschwindigkeit wieder eine Absorption eintrat. Und indem er diese Geschwindigkeiten in Energien umrechnete, konnte er sagen, wie das Eisen im Hämoglobin gebunden war.
Einer der jüngsten Nobelpreisträger überhaupt
Zum Physikstudium inspiriert hatten den 1929 in München geborenen Mößbauer häufige Besuche im Deutschen Museum. 1949 begann er sein Physikstudium an der Technischen Hochschule München, der heutigen TU München, das er 1955 bei Prof. Heinz Maier-Leibnitz abschloss. Unter dessen Obhut machte Mößbauer während seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg die entscheidenden Entdeckungen, die mit dem Nobelpreis gewürdigt wurden. 1958 promovierte er bei Maier-Leibnitz an der Technischen Hochschule München mit dem Thema „Kernresonanz-Fluoreszenz von Gammastrahlen in Iridium-191“. Er forschte in den USA am California Institute of Technology (Caltech), als er mit 32 Jahren einer der jüngsten Nobelpreisträger überhaupt wurde. Es folgten zahlreiche Ehrungen und Mitgliedschaften in den renommiertesten wissenschaftlichen Organisationen der ganzen Welt.
Schon 1965 konnte die Technische Hochschule München Mößbauer zurück nach Deutschland holen. Zur Bedingung machte er, dass die drei Physik-Institute völlig neu nach amerikanischem Muster organisiert wurden. Die Department-Struktur mit gleichrangigen Professoren, aus deren Mitte ein Direktorium gewählt wurde, sollte für Dynamik in der Forschung sorgen.
Für viele Kollegen überraschend, wandte sich Mößbauer Anfang der 70er Jahre von der weiteren Erforschung des von ihm entdeckten Effekts ab. Als er 1972 zum Nachfolger von Maier-Leibnitz als zweiter Direktor des Instituts Max von Laue-Langevin in Grenoble berufen wurde, begann er sich für die Neutrinophysik zu engagieren. Im physikalischen Standardmodell, auf dem praktisch die gesamte Physik aufbaut, wird angenommen, dass Neutrinos ähnlich wie Licht keine Masse haben. Einige Experimente sprachen aber gegen diese Annahme, und das faszinierte Mößbauer. Nach seiner Rückkehr an die TU München baute er auch hier eine international anerkannte Neutrinoforschung auf.
Die Förderung der internationalen Zusammenarbeit war für Mößbauer immer ein wichtiges Anliegen. Selbst zu den finstersten Zeiten des Kalten Krieges, als viele seiner amerikanischen Kollegen eine Einladung nach Russland ablehnten, reiste er mit einer Delegation in die damalige Sowjetunion. Er organisierte regelmäßige Treffen mit amerikanischen und russischen Wissenschaftlern, um den wissenschaftlichen Austausch zu fördern, und lud immer wieder Gastwissenschaftler nach Garching ein, in seiner Arbeitsgruppe zu forschen. Seiner Alma Mater blieb er bis zu seinem Tod verbunden.
Kontakt: presse@tum.de
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