Grasland im Langzeitexperiment
Artenvielfalt ist Voraussetzung für langfristig hohe Ökosystem-Leistungen
27.09.2011, Aktuelle Meldungen
Überflüssige Pflanzenarten gibt es nicht. Zwar reichen kurzfristig etwa vier bis sechs Arten aus, um zentrale Funktionen in Grasland-Ökosystemen zu übernehmen – beispielsweise die Biomasseproduktion. Langfristig bedarf es aber einer deutlich größeren Vielfalt: Ein Forscherteam unter Beteiligung der Technischen Universität München (TUM) hat in einem Langzeitversuch gezeigt, dass Grasland-Ökosysteme mit 60 unterschiedlichen Pflanzenarten über sieben Jahre hinweg die höchste Biomasseproduktivität aufrecht erhalten. Grund dafür ist, dass von Jahr zu Jahr unterschiedliche Spezies wichtige Beiträge zu den Ökosystem-Funktionen leisten. Dieser als „functional turnover“ bezeichnete Wechsel verhindert den Einbruch der Produktivität aufgrund von externen Faktoren wie Witterung oder Schädlingsbefall. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in der Online-Ausgabe der amerikanischen Proceedings of the National Academy of Sciences.
Die Bedeutung der Artenvielfalt für die Grundfunktionen von Ökosystemen hat das Wissenschaftlerteam anhand einer ganz besonderen Versuchsanordnung erforscht: Mit einer Fläche von 10 Hektaren gehört das 2002 begonnene Jena-Experiment zu den größten und langfristigsten Ökosystem-Versuchen in Europa. Auf 92 Grasland-Parzellen sind Gräser, Leguminosen sowie kleine und große Kräuter gesät. Dabei wurden Gemische von 1, 2, 4, 6, 16 oder 60 verschiedenen Arten ausgebracht. Von jeder Parzelle werden jährlich Proben genommen und archiviert. „Das Jena-Experiment bietet die einzigartige Möglichkeit, die Biodiversität gezielt zu variieren. Daraus lässt sich ableiten, welche Rolle die Artenvielfalt langfristig für die Stabilität von Ökosystemen hat, aber auch für den landwirtschaftlichen Ertrag von Lebensräumen“, erläutert Prof. Wolfgang Weisser, Landschaftsökologe an der Technischen Universität München und Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Experimentes.
Mithilfe von Daten aus dem Jena-Experiment haben die Forscher der Technischen Universität München und der Universitäten Bern, Leipzig, Halle und Oldenburg erstmals die Zusammenhänge zwischen Artenvielfalt und Produktivität von Ökosystemen quantifiziert. Das Ergebnis ihrer Untersuchungen: Je mehr verschiedene Pflanzenarten vorhanden sind, desto besser werden zentrale Prozesse wie die Produktion von Biomasse, die Speicherung von Kohlenstoff oder die Mineralisierung umgesetzt. Zwar zeigen kurzfristig angelegte Versuche, dass die Produktion von Biomasse punktuell von wenigen Arten – etwa vier bis sechs – übernommen und dominiert wird. Über mehrere Jahre hinweg können aber nur artenreiche Gemeinschaften die langfristig nötigen stabilisierenden Austauschprozesse garantieren. Allein die Parzellen mit
60 verschiedenen Arten konnten über den gesamten Untersuchungszeitraum von sieben Jahren eine konstant hohe Biomasseproduktivität aufrecht erhalten.
Die Forscher erklären das mit dem sogenannten „functional turnover“, dem funktionalen Wechsel der Arten. Vergleichbar mit Staffelläufern übernehmen im Lauf der Zeit unterschiedliche Pflanzengruppen die zentralen Funktionen des Ökosystems. „Pflanzenarten, die in einem Jahr selten sind, können im nächsten Jahr von großer Bedeutung sein. Wir konnten zeigen, dass eine Funktion in aufeinander folgenden Jahren von verschiedenen Arten dominiert wird“, erläutert Prof. Helmut Hillebrand.
Kurzfristig redundante, das heißt ähnliche Funktionen erfüllende Arten sind deshalb in einer langfristigen Perspektive nicht „überflüssig“. Im Gegenteil: „Für die Stabilisierung der Produktion kommt es auf die Abfolge von Arten mit komplementären Eigenschaften an“, sagt Hillebrand. Eric Allan, Erstautor der Veröffentlichung und Wissenschaftler an der Universität Bern, fügt hinzu: „Wir zeigen, dass höhere Artenvielfalt eine Art Versicherung für zukünftige Funktionen von Ökosystemen darstellt.“
Publikation:
E. Allan, W. Weisser, A. Weigelt, C. Roscher, M. Fischer, H. Hillebrand: More diverse plant communities have higher functioning over time due to turnover in complementary dominant species, PNAS online, doi:10.1073/pnas.1104015108
http://www.pnas.org/content/early/2011/09/22/1104015108.abstract
Mehr Informationen:
Jena-Experiment
www.the-jena-experiment.de
Kontakt:
Prof. Wolfgang W. Weisser
Technische Universität München
Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie
Department für Ökologie und Ökosystemmanagement
Hans-Carl-von-Carlowitz-Platz 2
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E-Mail: wolfgang.weisser@tum.de
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