Studie der TU München zeigt Potenzial bei Menschen mit Migrationshintergrund
Ingenieurwissenschaften als Integrationsmöglichkeit
20.05.2010, Press releases
Nahezu jedes dritte Kind unter zehn Jahren in Deutschland hat einen Migrationshintergrund – aber nur elf Prozent der Studierenden an den Universitäten. Gleichzeitig beklagt die deutsche Wirtschaft seit Jahren einen Mangel an Ingenieuren. Wesentliche Integrationshemmnisse verhindern, dass das brachliegende Potenzial gehoben wird: Defizite in der frühkindlichen Bildung, die Aussortierung von technischen Talenten aufgrund mangelnder Deutschkenntnis in der Schule sowie fehlende Mentoringprogramme an den Hochschulen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Fachgebiets Gender Studies in Ingenieurwissenschaften der TU München im Auftrag des Dachvereins Fakultätentage der Ingenieurwissenschaften und der Informatik an Universitäten (4ING), die heute in Berlin vorgestellt wird.
Vom Arbeiterkind zum Diplom-Ingenieur – für Tausende war dieser Weg in den vergangenen Jahrzehnten mehr als ein Traum. Die Ingenieurberufe galten in der Bundesrepublik als ideale Aufstiegsmöglichkeit. Eltern unterstützten ihre Kinder wegen des handfesten Charakters des Studiums, die anschließenden Berufsaussichten verhießen Planbarkeit und sicheres Einkommen. Talente aus Gesellschaftsschichten, die bis dahin keine akademische Bildung genossen hatten, konnten so für die Ingenieurwissenschaften und auch die Informatik gewonnen werden.
Gilt dies auch heute für sozial schwächere Bevölkerungsgruppen? Schon ein kurzer Blick auf die Statistik zeigt, dass das Potenzial der Menschen mit Migrationshintergrund offenbar nicht genutzt wird – und zwar schon vor der Hochschulreife: Während im Jahr 2007 44,5 Prozent der Kinder ohne Migrationshintergrund ein Gymnasium besuchten, lernten dort nur 13,2 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund. „Wir können es uns weder wirtschafts- noch sozialpolitisch leisten, nicht die Begabungen aus allen Bevölkerungsgruppen zu erkennen, für ein Studium in den technischen Disziplinen zu animieren und durch die schulische Bildung darauf vorzubereiten“, sagt Prof. Gerhard Müller, Ordinarius am Lehrstuhl für Baumechanik der TUM und Vorsitzender von 4ING.
Der Dachverband hat deshalb Prof. Susanne Ihsen vom TUM-Fachgebiet Gender Studies in Ingenieurwissenschaften mit einer Potenzialanalyse beauftragt. Die Wissenschaftlerinnen des Fachgebiets werteten Statistiken sowie Einzelstudien aus und führten Interviews mit Personen mit Migrationshintergrund, die Berufe der Ingenieurwissenschaften oder Informatik ergriffen haben, sowie mit Experten aus Best-practice-Projekten, die sich mit dem Zusammenhang von Integration und Technik beschäftigen.
Die Studie „Ingenieurwissenschaften – attraktive Studiengänge und Berufe auch für Menschen mit Migrationshintergrund?“ stellt vor allem folgende Integrationshemmnisse entlang der Bildungskette vom Kindergarten bis zur Hochschule fest:
- Kinder mit Migrationshintergrund genießen seltener eine institutionalisierte frühkindliche Bildung.
- Die deutsche Sprache als zentrale Voraussetzung für den Schulerfolg wird von Kindern mit Migrationshintergrund im Mittelwert schlechter beherrscht. Mangelnde Deutschkenntnisse werden wiederum von Lehrern häufig mit mangelnder Schulfähigkeit verwechselt. Hinzu kommen nach wie vor diskriminierende Haltungen von Pädagogen.
- Familien mit Migrationshintergrund verfügen im Schnitt über ein geringeres Einkommen als andere Familien. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Schwierigkeiten bei der Finanzierung eines Studiums oder die Sorge vor möglichen Schwierigkeiten auf Studierende und Studieninteressierte aus diesen Familien überproportional zutreffen.
Um dieses Potenzial auszuschöpfen, bietet die Studie vier Handlungsansätze an:
- Eine Steigerung der Qualität der frühkindlichen Bildung und vorschulischen Angebote sowie mehr Erzieher, Lehrer und Mentoren mit Migrationshintergrund.
- Eine Steigerung des Technikinteresses der Kinder durch ein kontinuierliches „Technik-Curriculum“ entlang der Bildungskette insbesondere bis zum Alter von 12 Jahren. Die Einbindung erfolgreicher Ingenieure mit Migrationshintergrund als Vorbilder kann zu einer stärkeren Identifikation mit Technik führen.
- Kontinuierliche Unterstützung entlang der Bildungskette durch begleitende Sprachenbildung. Vor allem Jungen mit Migrationshintergrund benötigen mehr Förderung durch die Bildungspolitik. Statistisch gesehen haben sie schlechtere Chancen auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt.
- Sensibilisierung der Universitäten und ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten durch Einbindung des Themas „Migration“ als Querschnittsthema. Dabei sollten vorhandene Gender- und Diversity-Konzepte sowie Erfahrungen von Unternehmen einbezogen werden. Finanzielle und berufspraktische Fördermöglichkeiten durch Kooperationen mit Unternehmen können die Studienneigung erhöhen. Angehende Lehrer müssen auf die Heterogenität der Schüler vorbereitet werden.
Hintergrund:
Der Dachverein „Fakultätentage der Ingenieurwissenschaften und der Informatik an Universitäten“ (4ING) vertritt 130 Fakultäten, Fachbereiche und Abteilungen an Universitäten und Technischen Universitäten in Deutschland. Diese stellen mehr als 90 Prozent des universitären Studienangebotes bereit in den Fächern Bauingenieurwesen, Geodäsie, Maschinenbau, Verfahrenstechnik, Elektrotechnik, Informationstechnik sowie Informatik.
Für Rückfragen:
Prof. Susanne Ihsen
Technische Universität München
Fachgebiet Gender Studies in Ingenieurwissenschaften
Arcisstraße 21
80333 München
Tel: +49 89 289 22936
Fax: +49 89 289 22938
E-Mail: ihsen@tum.de
www.ei.tum.de/gender
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