Richtfest Neue Forschungs-Neutronenquelle FRM-IIRede des Präsidenten der Technischen Universität München, Professor Wolfgang A. Herrmann 24. August 1998 (Anrede) Heute ist ein großer Tag für unser Land, denn er ist in besonderer Weise auf die Zukunft gerichtet. Die Forschungs-Neutronenquelle hat Gestalt angenommen. Sie hat den Richtkranz verdient und die Handwerker ein zünftiges Richtfest. Deshalb sind wir hier, eingerahmt von der Echinger Musi und dem Weihenstephaner Richtschmaus. Unsere Zier aber sind die Handwerker, an die 200, denen zuallererst mein herzliches Grüßgott gilt. Sie errichten mit ihrer Hände Arbeit, mit Verstand und Umsicht ein neues Haus, das ein Meisterwerk der Naturwissenschaft und Technik zu werden verspricht, ein Ort der Spitzenforschung, die den Menschen morgen Arbeit gibt. Ihnen, dem Architekten Fred Angerer, den Handwerkern und allen Leuten vom Bau, gilt unser Respekt für die unfallfreie und pünktliche Bewältigung eines technisch komplizierten Baukörpers, der bald die leistungsfähigste Neutronenquelle der Welt aufnehmen wird. Stellvertretend grüße ich den Bauleiter Schorsch Söhnlein, aber auch die Pioniere von damals, als das Atom-Ei entstand: Sebastian Schapfl, den Bauleiter; auch Hans Reindl ist da, der Lagerverwalter anno ´57, der heute mächtig zu tun hätte, müßte er die 3.000 Stahlbolzen herunterzählen, mit denen die 50 Tonnen schwere Beckenauskleidung der Deggendorfer Werft im Schwerbeton verankert ist; müßte er die 49.000 Schraubmuffen für die zweieinhalbtausend Tonnen Armier-Eisen bereithalten und die 22.000 Bewehrungsanker für die technische Ausstattung, jeder eineln TÜV-geprüft und numeriert, keiner darf übrigbleiben; müßte er Buch führen über 21.000 Tonnen Beton unterschiedlicher Dichte, die für 1,80 Meter-Wand- und Kuppelstärke sorgen. Die "Hebweih", wie es bei uns heißt, ist Ausdruck des Zusammenhaltens, des guten Miteinanders und der Freude am Handwerk und Tradition. Es ist gut, daß man den Blick zum Himmel richtet, wenn sich nachher der Richtkranz hebt. Dann bittet man um Gottes Segen für den Bau und alle, die fortan ein- und ausgehen. Dazu gehören als erster Sie, verehrter Herr Ministerpräsident, den ich in unser aller Namen respektvoll willkommen heiße, der - hätten Sie nicht ausgerechnet Jurisprudenz studiert - garantiert auch ein exzellenter Ingenieur geworden wäre. Über Sie wird man später einmal sagen hören, daß er das Kunststück vollbracht hat, in der Phase einer noch nie da gewesenen Umbruchsgeschwindigkeit sein Land durch das Bekenntnis zur Hochtechnologie international wettbewerbsfähig gemacht zu haben. Da ist ferner der Vergleich mit der Wissenschafts- und Strukturpolitik König Max II. doch nicht so weit, auch wenn es damals kein Gigabit-Datennetz zwischen Nord- und Südbayern gab, dafür aber Vizinalbahnen in großer Zahl auf Eisenschienen. So wie hier in Garching geht eine Aufbruchsstimmung durch das ganze Land; der Sinn ist auf Zukunft. Die jungen Menschen an den Hochschulen haben es satt, immer nur mit Bedenken statt Vorandenken konfrontiert zu werden, mit Wenn und Aber statt Ärmel hochkrämpeln und Anpacken, mit Ausstieg statt Einstieg, mit Anti und Alternativ statt kreativem Gestalten und einem beherzten Ja zur eigenen Zukunft. Diese Jugend, die schon vor 40 Jahren demonstriert hat - und zwar f ü r die rasche Fertigstellung des "Atommeilers" nebenan, um für sich und ihr Land einen geachteten Platz in der Wissenschaft zu erringen - diese Jugend will immer weniger wissen von jenen sinistren Gestalten, die dem rationalen Argument verschlossen sind, die stets verneinen, verhindern, anklagen, und den Menschen Angst machen statt sie zu ermutigen. Wir wissen wohl, daß alle Technik janusköpfig ist. Um so wichtiger, daß eine fortgeschrittene Technik-, Industrie- und Exportnation die neuen Technologien anführt, um diese aus gewachsener Wissenschafts- und Wertekultur heraus auch zu kontrollieren. Der neue Forschungsreaktor ist genau dafür das beste Beispiel, weil er der Wissenschaft ein hohes Maß an Fachkompetenz, Bürgersinn und ethischer Verantwortung in einem Atemzug abverlangt. Der Nimbus liegt hoch. Einen Gruß der Sympatie entsende ich sogleich Herrn Staatsminister Zehetmair, der das größte Bauvorhaben in der 130jährigen Geschichte unserer Technischen Hochschule in aufrechtem Gang schultert. Bei einer Bodenbelastung von 5 Tonnen pro Quadratmeter ist es nicht einfach, und so stützt ihn für die Bundesregierung Herr Staatssekretär Neumann, moralisch und wohl bald auch monetär, während schon beim Einheben der Bodenplatte der Garchinger Athlet Helmut Karl behilflich war, der hochgeschätzte Bürgermeister unserer Universitätsstadt. Später werden sich des Reaktors viele Väter rühmen, die authentischen aber sind heute schon bekannt. Auch Herr Dr. von Pierer, Vorstandschef der SIEMENS AG, ist als Generalunternehmer des FRM-II zur Halbzeitbilanz herbeigeeilt. Mein Gruß an ihn ist auch ein Dank für den Ehrgeiz, den seine Leute gemeinsam mit unserer Projektgruppe unter Dr. Axmann und Prof. Gläser beflügelt, den Stand der Technik noch während der Bauphase zu verbessern. Denn im Jahr 2001 wollen wir ja die modernsten Experimente und technischen Anwendungen in Gang setzen. Finanzielle Großzügigkeit in Zeiten scharfen Wettbewerbs ist da ein Lob der Wissenschaftler wert. Seien wir doch stolz darauf, daß ein Reaktor "made in Germany" entsteht. Das Innenleben des Atom-Ei kam noch aus Amerika, wo es der damalige Atomminister Franz Josef Strauß entdeckt hatte, und zwar Jahre vor der Ankunft seiner Tochter, die heute als Staatssekretärin Monika Holmeier anwesend ist und so meinen Gruß ebensowenig entkommt wie Frau Staatsministerin Männle, Staatsminister Faltlhauser sowie Staatssekretär Kränzle. Dem Bayerischen Kabinett fehlt zur Beschlußfähigkeit heute nicht viel. Als Ehre werten wir die Anwesenheit zahlreicher Mitglieder der Volksvertretungen aus Landtag, Senat, Bundestag und Europaparlament. Aber auch die Bürgermeister, Stadt- und Gemeinde-, Kreis- und Bezirksräte der Region sind uns willkommen, zumal sie uns Wissenschaftler in besonderer Weise bei der Kultivierung jener Sprechfähigkeiten helfen, die dem interessierten Bürger die Einsicht in die Notwendigkeit und Zielsetzung von Wissenschaft nahebringt. Danke für die Aufrichtigkeit des Wortes, vor allem, wenn man anfangs nicht in allen Sachfragen Gleichklang hatte, aber lauteren Herzens aufeinander zuging. Hut ab vor Gert von Hassel für eine Öffentlichkeitsarbeit der Transparenz und Ehrlichkeit. Für faire Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen ist heute ebenfalls Gelegenheit zu danken. Die anwesenden Vertreter der Kirchen- und Religionsgemeinschaften ermutigen uns, den Weg des Dialogs unbeirrt fortzusetzen. Information ist unsere Bringschuld, Kritikfähigkeit als typisch wissenschaftliches Attribut unverzichtbar. Gute Wissenschaft bedeutet aber auch Weltoffenheit, eine tragende Säule der Bayerischen Hochschulreform, Glanzstück aktueller Politik. Deshalb sei den Vertretern des Konsularischen Corps zugerufen: Willkommen im Wissenschaftsland Bayern, das die Studenten und Wissenschaftler aus ihren Heimatländern als unsere besten Botschafter der Zukunft gerne und herzlich in die Mitte nimmt. Wissenschaft verbindet die Menschen im Wettbewerb um die besten Ideen und Innovationen, und sie qualifiziert sich dadurch, daß sie nationale Grenzen ignoriert und den Menschen dient. Dies haben in reichen Maßen unsere Münchner Nobelpreisträger erfahren, von denen sich Ernst Otto Fischer, meinen verehrten Lehrstuhlvorgänger, sowie Robert Huber mit dem gebotenen Respekt begrüße. Heinz Maier-Leibnitz und Rudolf Mößbauer entsenden von einer Kongreßreise ihre Grüße und bekunden der Staatsregierung Hochachtung. Sie, Herr Huber, wissen als Biochemiker auf der Spurensuche nach den Geheimnissen des Lebens besonders zu schätzen, daß wir künftig mit Hochflußneutronen spektraler Reinheit buchstäblich besser sehen können, wenn es um die präzise Ermittlung der molekularen Strukturen biologischer Systeme geht, und - davon abgeleitet - um die Funktionsmechanismen der Lebensprozesse. Wo die Strahlen Wilhelm Röntgens ungenau antworten, da faßt die Sprache der Neutronen nach. Und erschließt sich sogar strukturdynamische Phänomene, die man erst neuerdings zu erkennen beginnt. Ungeahnte Horizonte! Begrüßungsreden sind mir ein Hochgenuß, jedoch die Zeit erlaubt es nicht, die zahlreichen ehrenzuachtenden ergo erwähnungswürdigen Persönlichkeiten einzeln zu begrüßen. Deshalb Bescheidenheit, ausnahmsweise, und Mut zur unverzeihlichen Lücke: Prof. Heinz Nöth, Chemiker und Akademiepräsident dazu, ist unter den viri illustres; Tassilo Springer, der bayerische Mensch, Neutronenforscher und projektbegleitender Beirat aus Jülich, Erich Bauer als Betriebsdirektor der Neutronenquelle in Grenoble, mein Amtsvorgänger im Leitwerk, Professores Wild (Physiker) und Meitinger (Architekt), beides treue Wegbegleiter des Projektes, die mir mit dem FRM-II eine anstrengende, aber formende Bürde übertragen haben. Wissenschaft ist ein Teil und Dienerin der Gesellschaft, und deshalb spricht sie mit der Wirtschaft, deshalb muß sie Nobelpreiswissen in funktionierende Produkte und Verfahren zu übersetzen bereit sein, ohne zur "verlängerten Werkbank" zu verkommen. So ist die neue Neutronenquelle vor allem auf Vielfalt in Wissenschaft und Anwendung optimiert, deshalb auch brauchen wir das Kompaktbrennelement mit hochangereichertem Uran. Die zu erwartenden wirtschaftlichen Impulse sind vielfach, denken wir nur an die Silicium-Halbleiterdotierung der Wacker-Chemie oder an die Synthese neuer Radiopharmaka, deren Weltmarkt schon heute 1,1 Milliarden US-$ bei nur 40 Produkten umfaßt, weit überwiegend in Amerika, wo eben die meisten Neutronenquellen stehen. Diesen Sektor gehen wir mit der soeben gegründeten TUM-TECH GmbH gezielt an, denn der Reaktor gibt uns eine europaregionale Sonderstellung, die schwerlich anfechtbar sein wird. Und das Wuchern mit den Pfunden schreibt uns die Bibel vor. Disziplinäre Tiefe also in der Nuklearmedizin, aber Schnittstelleneffizienz zwischen Medizin, Natur- und Ingenieurwissenschaft sowie Ernährungswissenschaft: das ist das Entwicklungskonzept unserer Hochschule an den Standorten München, Garching und Weihenstephan. Die Neutronenquelle ist das methodische Zentrum mit einer Magnetwirkung weit über das Land hinaus. Material-, Werkstoff- und Katalyseforschung, Biowissenschaften, Halbleitertechnik, Umweltanalytik werden sich hier begegnen. Ich grüße Herrn Dr. Franz vom Wissenschaftlich-technischen Beirat der Staatsregierung sowie namhafte Vertreter der Industrie aus dem In- und Ausland, ferner in der angemessenen Haltung die Vertreter des Bayerischen Obersten Rechnungshofes und die stets kristischen Beobachter der Aufsichts- und Genehmigungsbehörden. Nein, die Zeiten sind nicht leicht, aber der Fortschritt ist da, auch mit Michael Goppel von der EURATOM Brüssel und mit Hartmut Blankenstein vom Bonner Auswärtigen Amt. Und wenn der Name des kultusministeriellen Mentors Großkreutz, frischer Ministerialdirigent und alter Kämpfer für die Wissenschaft, noch genannt ist, dann treibt es mich, fürs Freibier unserer Hochschulbrauerei zu danken, dem freigiebigen Direktor, Georg Wohn. Die Brauer waren es, Herr Wohn, die vor 40 Jahren gegen das Atom-Ei waren - Radioaktivität im Grundwasser wurde befürchtet. Seither und auch am heutigen Tag beweist die Staatsbrauerei, daß die Befürchtungen unbegründet waren. Herzlichen Dank fürs Freibier - ich kann es gar nicht erwarten, den ersten Banzen für unsere Handwerker und Gäste anzuzapfen. Und jetzt wünsche ich uns allen eine Tag der Freude und Freundschaft. Bayern ist auf einem guten Kurs. Die Wissenschafts-, Technologie- und Strukturpolitik macht es uns leicht, gern für unser Land zu arbeiten. Das richtige Wort des Wissenschaftlers heißt deshalb heute: Vergelt´s Gott. |