Pestalozzi und Humboldt: Bildung im globalisierten DorfPräsident der Technischen Universität München, Professor Wolfgang A. Herrmann in: Eliten und Demokratie - Wirtschaft
und Wissenschaft im Dialog Das deutsche Bildungswesen hat seine Wurzeln in der Aufklärung, ist neu-humanistisch geprägt und hat sich vom Gedanken des mittelalterlichen Zunfthandwerks weitestgehend entfernt. Während es bezeichnenderweise die Humboldtsche Universität 100 Jahre nach ihrer Begründung geschafft hatte, die naturwissenschaftlich-technischen Fächer in ihrer handwerklichen Ausprägung zu integrieren und genau mit dieser Entwicklung der Freiheits-idee von Forschung und Lehre weltweit zu Erfolg und Geltung zu verhelfen, so befindet sich das deutsche Bildungswesen heute in einer merkwürdigen Schieflage: Die handwerkliche Basis wird entvölkert, die Hauptschulen verkommen zu den Abstellgleisen für die Vergessenen, gleichzeitig sinkt im bundesdeutschen Querschnitt das Niveau der Gymnasien, und viele Universitäten verdienen diesen Namen nicht mehr. "Wer die Welt mit der Hand begreift", so Bundespräsident Roman Herzog1), der müsse genau so viel gelten wie der scharfe Denker. Doch die Realität sieht anders aus. Die von Georg Picht2) in den sechziger Jahren ausgerufene "deutsche Bildungskatastrophe" hat in der politischen Konsequenz zur Schleusenöffnung der Universitäten geführt, die sich an der Fehlentwicklung im Nationalsozialismus recht gut erholt hatten und zu Zielen aufgebrochen waren, die wir heute wieder anpeilen: Internationalisierung, Wettbewerb, Elitenbildung, Selbstverantwortung. Stattdessen wurde die Ordinarienuniversität durch die Gruppen- und Gremienuniversität ersetzt, zu deren erster Bürgerpflicht der politische Kompromiß wurde, nicht mehr der beste wissenschaftliche Standard. Die Spielregeln kommunaler Parlamente sollten fortan eine Institution steuern, die hierfür nicht geschaffen war. Denn das Prinzip der Universität ist die kompromißlose Wahrheit der Wissenschaft. Anstatt sich auf die Auswahl und Förderung der jungen Talente einzuschießen und aus den Guten die Besten zu machen, ließ sich die Universität der siebziger Jahre immer mehr wissenschaftsferne Funktionen verordnen. Mittlerweile nimmt sie teilweise auch sozialpolitische Aufgaben wahr. Wir sind weit davon entfernt, daß "die Universität im geistigen Haushalt der Nation nicht eine Provinz, sondern eine zentrale Instanz" ist (Th. Nipperdey)3). Oder daß sie, wie Jaspers anmerkt, "...die Stätte [ist], an der Gesellschaft und Staat das hellste Bewußtsein des Zeitalters sich entfalten lassen"4). Daß sich Deutschland Massenuniversitäten leistet, weil man Begabungen nicht zu sortieren wagt, ist eine schlimme Fehlsteuerung der jugendlichen Ressourcen mit negativen Auswirkungen auf die Zukunft. Wir Deutschen haben es nicht geschafft, uns zu unterschiedlichen Begabungen zu bekennen und diese zu achten, um sie zu fördern. Wir wollen nicht begreifen, daß ungleichartige Begabungen in einer so hoch arbeitsteiligen Gesellschaft gleichwertig sind, daß die exzellente handwerkliche Leistung ebenso wichtig ist wie ein genialer Algorithmus. Bildung und BerufBildung und Beruf wurden früher im Zusammenhang gesehen. Für Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) war die Berufsbildung "die Pforte zur Menschenbildung". Erziehung soll über den Beruf zu innerer Würde führen. Nach einem Gleichgewicht von Theorie und Praxis, von Bildung und Beruf strebte der große Goethe in seinem "Wilhelm Meister" der Name als Programm! In unserem Jahrhundert integrierte dann Georg Kerschensteiner (1854 - 1932) Bildung, Arbeit und Beruf in eine zeitgerechte Pädagogik. Den "Belehrungsbetrieb" der allgemeinbildenden Schulen mit ihren unverdaubaren Wissensaggregaten kritisierte er in seiner "Selbstdarstellung" (1926): "Die mit Wissensstoffen schön patinierten 13jährigen Kinderköpfe erschienen bei der Revision am Ende des 16. Lebensjahres wie blankpolierte hohle Kupferkessel. Die Patina war eine unechte, und drei Jahre Wind und Wetter des praktischen Lebens genügten, sie zu zerstören." Die berufliche Bildung ist hinter dem stürmischen Ausbau der allgemeinbildenden Schulen seit Kriegsende zurückgeblieben, gegen den Bedarf der modernen Technik, mehr noch: Sie hat dadurch ihre pädagogische Prägekraft verloren. Bildung wurde mit fortschreitender Arbeitsteilung und Spezialisierung zum Symbol für humane Selbsterfüllung: Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Emanzipation, säkularisierter Individualismus. Die Bildung unserer Tage ist, frei nach Goethe, "gebildet aber bildlos" geworden. Wir haben vergessen, Pestalozzi und Kerschensteiner neben Fichte und Humboldt zu stellen. Jedoch beginnen wir wieder vom "lebenslangen Lernen" zu sprechen, vom praxisbegleiteten Studium, von Fort- und Weiterbildung als den neuen Märkten der Universität. Handwerkliche und theoretische Begabungen sind Grundlage aller Technologie, der alltäglichen wie der Spitzentechnologie. Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat recht mit der Erkenntnis5), daß "die Gesamtverfassung des Hochschulwesens ... unzweckmäßig und unwirtschaftlich" ist und daß die bisweilen gepriesene Selbstverwaltung oder Autonomie der Hochschulen größtenteils nur eine Selbsttäuschung sei. Der Qualitätsverlust der deutschen Universitäten ist seiner Meinung nach überwiegend durch Politik und Bürokratie verursacht, nicht zuletzt durch die "weitgehende Vereinheitlichung des Hochschulwesens" (S. 140). Tatsächlich ist die Vereinheitlichung das Kernproblem, angefangen bei der Hochschulzulassung über die Professorenbesoldung bis hin zur Hochschulfinanzierung. Differenzierung ist eben nur aus der Leistungsmessung heraus möglich, doch die ist auf dem Kompromißweg nicht zu haben; sie setzt das Bekenntnis zur Leistung voraus. Man erkennt zunehmend, daß die ungehemmte Akademisierung das Begabungspotential des Landes nicht ausschöpft. Die neue Bildungspolitik muß sich einerseits von den ideologischen Zwängen freimachen, die ihr seit nunmehr dreißig Jahren Schaden zufügen, darf aber andererseits nicht einem einseitig technokratischen Weltbild verfallen. In der Mitte der neuen Bildungsidee muß die Herstellung von Wertebezügen liegen, die Hinkehr zu religiösen Verbindlichkeiten und die Abwendung vom unverbindlichen Individualismus. Pestalozzi und Humboldt sind gleichermaßen gefragt. Selbst für uns Techniker ereignet sich die Welt heute auf Märkten mit eigenkulturellen Hintergründen, die wir kennen und achten müssen, um erfolgreich zu sein. Globalisierung, die uns treibt, heißt nämlich auch Lokalisierung, das ist fachliche und kulturelle Vor-Ort-Kompetenz. Die fernen Kulturen Indiens und Ostasiens, der künftigen Bevölkerungsgiganten im Vergleich zum "europäischen Zwerg", werden uns Wirtschaftsräume in globalen Netzwerken nur dann eröffnen, wenn wir auch das Brauchtum und die geistigen Bindungen dieser Menschen zu würdigen wissen. Weltoffenheit ist angesagt, und sie beginnt in unseren Werkstätten und Schulen. ErneuerungsbedarfDie Erneuerung des Bildungswesens läßt sich auf wenige, in der politischen Umsetzung jedoch keineswegs triviale Forderungen konzentrieren: 1. Das Bildungssystem muß in seiner Differenzierung genutzt und durchlässiger werden. Wie nirgends in der Welt haben wir ein nach Neigungen und Begabungen differenziertes Bildungssystem. Wir nutzen es aber nicht hinreichend. Die Begabungen unserer jungen Menschen als "natürliche Verteilungen" auf einer Gauß-Kurve werden auf dieses Bildungssystem nicht kongruent abgebildet. Blanke Zahlen belegen dies: 1,3 Mio. Uni-Studenten, 550 Tsd. FH-Studenten, Fach- und Berufsakademien fallen nicht ins Gewicht. Um so schlimmer, daß das System nicht hinreichend durchlässig ist. Fachhochschulen gelten den Universitäten gegenüber als minderwertig, wozu freilich das ständige Aufbegehren der Fachhochschulen nach mehr Wissenschaftlichkeit seinen Beitrag ebenso leistet wie die unterschiedlichen Eingangsbesoldungen der FH- und Uni-Absolventen im öffentlichen Dienst. Bei den Universitäten und Fachhochschulen bedürfen die Fächerallokation und -differenzierung einer pragmatischen Neuordnung. Eine Reihe klassischer Uni-Studiengänge sind bedarfsgerecht zu reformieren und ganz oder teilweise an den Fachhochschulen zu etablieren. Das Schlüsselkriterium muß dabei die Wissenschaftlichkeit der Ausbildung sein. So plädieren Spiros Simitis und Michael Stolleis, zwei renommierte Rechtswissenschaftler, für eine zielgruppenorientierte FH-Ausbildung eben für das Erlernen eines respektablen "Rechtshandwerks", das die Praxis doch vorrangig braucht. (Was tun die Repetitoren seit eh und je gegen nie angefochtene "Studiengebühren" denn anderes als kompaktes "Verfügungswissen" zu vermitteln?) Ähnlich kann man auch für ganze Studienfächer argumentieren, z.B. das Grund- und Realschullehramt, und für einige medizinische sowie pharmazeutische Fachrichtungen. Das große Thema der "public health", wäre ein Beispiel für strukturierte Gemeinschaftsaktionen quer durch unser Bildungssystem! 2. Das deutsche Gymnasium muß Ausbildungsstätte für Bildung bleiben. Eine komplexer werdende Welt braucht den ordnenden Geist. Erst dann zahlt sich Spezialistentum aus, das bei aller Wichtigkeit doch häufig cura posterior bleibt. Das preußische Abitur des Jahres 1812 dürfte als bundesweit festgeschriebener Interventionspunkt des Bildungswesens nicht zu halten sein. Kulturförderalistische Kräfte lassen das gar nicht zu, mögen sich die Kultusminister noch so anstrengen. Schon deshalb ist klar, daß die Hochschulen an der Auswahl ihrer Studenten zu beteiligen sind, ganz abgesehen davon, daß Wettbewerb schlichtweg mit Auswahl beginnt. Dann wird der Markt entscheiden, ob es dabei bleibt, daß in Brandenburg 36 % eines Altersjahrgangs durch das Abitur kommen, in Bayern nur 17 %. Es ist ja nicht a priori anzunehmen, daß die bayerischen Landsleute doppelt so blöd sind (oder halb so gescheit)? Die Hochschulen selbst müßten es sein, die das Niveau des Eingangszertifikats definieren, wobei man sich freilich auf den "Indikatorsatz" der fünf Abiturfächer Deutsch, Geschichte, Mathematik, (eine) Naturwissenschaft und (eine) Fremdsprache gut einigen könnte und in dieser Form das Schulleistungszeugnis als Hochschulbefähigungsnachweis anerkennen würde. An der TU München wären damit die 80 % der aus bayerischen Schulen kommenden Studenten erfaßt; die anderen würden sich teilweise, je nach Herkunft und Fachrichtung, einer zusätzlichen Prüfung unterziehen, in welcher Form auch immer. Nur so, nicht aber durch kultusministerielle Rechenexempel und Kompromißformeln würde das Eingangsniveau selbstregulierend ansteigen und zur Wettbewerbskomponente im Bildungswesen aufsteigen. In der Mathematik gibt es Prognosekriterien ebenso wie übrigens zu keiner Zeit bestritten in Sport, Kunst und Musik. Leitlinie der Gymnasialbildung sollte die Persönlichkeitsbildung sein. Allgemeinbildung hat auch in den technischen Disziplinen Vorrang vor verfrühtem Spezialistentum. Gleichzeitig wird das Gymnasium neben der Vorbereitung auf ein Hochschulstudium zunehmend für das praktische Leben ertüchtigen müssen. Aktuell nehmen nämlich nur Dreiviertel der deutschen Abiturienten ein Hochschulstudium auf, die übrigen gehen unmittelbar in die Berufspraxis. Dieser Trend wird sich verstärken. Mehr als früher wird das Gymnasium zur unmittelbaren Schule fürs Leben, ein Leben kultureller und wirtschaftlicher Internationalität. Die Schuldauer 12 vs. 13 Jahre ist unter solchen Gesichtspunkten nicht das Kernthema der Bildungspolitik, obwohl vieles für zwölf Schuljahre (bei neuen Lehrmethoden und gestrafften Lern-inhalten) und eine frühere Einschulungsoption spricht. 3. Das deutsche Bildungssystem, namentlich die Universität, braucht den Wettbewerb. Der Wettbewerbsgedanke würde zuallererst den Universitäten zugute kommen, denn sie stehen aufgrund ihrer Doppelfunktion in Forschung und Lehre unmittelbar im internationalen Leistungsvergleich. Globalisierung bedeutet ja Öffnung der Märkte für Ideen und Innovationen im Dienstleistungs- und Produktbereich über die Schranken der angestammten Wirtschaftsräume hinweg. Den Wettbewerb werden wir als kleines Land langfristig nur bestehen, wenn wir uns die besten Universitäten mit Studenten leisten, die einen breiten Bildungshorizont mitbringen. Die leistungsfähigste Antriebsturbine made in Germany bringen wir in Asien und anderen Aufbruchsregionen der Welt nur dann an den Mann, wenn wir zusätzlich zur technischen Exzellenz ein kulturelles Resonanzempfinden für fremde Heimaten mitbringen. So gesehen ist unser Bildungswesen der Exportfaktor mit der größten Nachhaltigkeit. Unsere Leistungskraft in der Wissenschaft ist schon heute vom Wettbewerbsgedanken geprägt. Es ist deshalb nicht schwer, eine Rangliste der deutschen Chemiker, Physiker oder Wirtschaftswissenschaftler innerhalb ihrer Fachdisziplinen aufzustellen. Inoffiziell gibt es diese Listen. Was die Hochschulen jedoch nicht herausgebildet haben, sind spezifische korporative Profiltiefen in Forschung und Lehre. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ein gewichtiger Grund liegt in der Vorstellung, daß alle Universitäten eine möglichst gleichwertige, da staatlich garantierte Ausbildung leisten sollen. Es ist unter anderem auf diese fehlende Differenzierung zurückzuführen, warum die Bevölkerung, ja selbst die Studenten sich so wenig mit ihren Universitäten identifizieren. In dieser Landschaft will der Mensch aber Gipfel und Täler sehen, um sich zu orientieren. Die deutsche Universität hat keine "corporate identity" und schon gar kein "corporate image". Im Korsett einer kameralistischen Staatsanstalt kommen wir Universitäten als nachgeordnete Behörden nicht weiter. Wir brauchen den körperschaftlichen Handlungsspielraum, verbunden mit allen resultierenden Pflichten. Nur so kann Autonomie entstehen. Autonomie ist nur korporativ wirksam. Sie ist mehr ist als die Summe individueller Rechte aus dem vielzitierten Art.5 Abs. 3 GG, einem Erbe Humboldt. 4. Das deutsche Bildungswesen bedarf der Internationalisierung. Die deutschen Universitäten, zunehmend wohl auch die Fachhochschulen, müssen die entstehenden "Bildungsmärkte" im Ausland erschließen. Das Beispiel Indonesien genügt, um auf Versäumnisse zu zeigen: Mit 200 Mio. Menschen die viertgrößte Nation der Erde, entsendet Indonesien jeweils 17.000 Studenten in die USA und, neuerdings, nach Australien. Gegen eine ansehnliche Kostenbeteiligung werden dort die jungen Indonesier nicht nur wissenschaftlich ausgebildet, sondern gleichzeitig zu den besten Botschaftern der Ausbildungsländer. Deutschland hingegen ist nach einer erfolgreichen Auftaktphase (ohne viel eigenes Zutun, nämlich nach dem Weggang der Niederländer im Jahre 1945) auf gerade 1.200 indonesische Studenten heruntergekommen, obwohl im Regierungskabinett in Jakarta vier Minister deutsche Ingenieursdiplome haben. Erheblichen Nachholbedarf haben wir auch in anderen Erdteilen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst und die Ale-xander von Humboldt-Stiftung sind einsame Leuchttürme, unterstützt durch eine viel zu kurze Reihe weiterer Stiftungen. Obwohl deutsche Institute und Laboratorien für Forscher aus aller Herren Länder attraktiv sind, so fehlen uns die ausländischen Studenten. Ein Anteil von derzeit 4 % ist schandhaft niedrig, fordert die Hochschulen zur Internationalisierung ihrer Studiengänge auf und die Politik zur Revision der Rahmenbedingungen, allen voran des Ausländerrechts. Dabei verlangt keiner etwas kostenlos zu bekommen: Die Wertschätzung einer deutschen Hochschulausbildung wird sich in einer bereitwilligen Kostenbeteiligung niederschlagen, wenn wir unseren deutschen Dünkel ablegen und Ausbildung professionell als Dienstleistung verkaufen, und zwar im kompletten "package" inklusive Wohnplatz, Sprachausbildung und Krankenversicherung. Die Technische Universität München realisiert dieses Angebot neuerdings in einer eigenen Gesellschaft (TUMTECH GmbH). Es ist ein Fehler zu glauben, daß Unentgeltlichkeit Leistungen attraktiv macht. Besser eine erstklassige Ausbildung mit durchkalkulierter Kostenbeteiligung als Zweitklassigkeit umsonst! Auch für Bildungsangebote gelten die Regeln des Marktes mehr als die hehren Sprüche des Egalitarismus. Ausländer müssen aber auch das Gefühl haben, daß wir ihnen Ausbildungsleistungen gerne verkaufen. Das setzt Wertschätzung für unsere Gäste voraus! 5. Leistungen in Lehre und Forschung sind näherungsweise saldierbar. Wissenschaftliche Leistung ist bei Berücksichtigung fächerkultureller Eigenheiten meßbar. Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft weiß man das schon lange, an den Universitäten beginnt sich die leistungsbezogene Mittelallokation in der Forschung durchzusetzen, ebenso die belastungsbezogene Honorierung der Unterrichtsleistung. Oft auf Jahrzehnte verbürgte "Berufungs-zusagen" in der Personal- und Sachmittelausstattung sind nicht zeitgemäß, zumal sie eine lebendige Hochschulentwicklung von innen heraus behindern. Amerikanische Spitzenuniversitäten sind nicht etwa deshalb so gut, weil sie die Besten mit einer üppigen Ausstattungsgarantie verzieren. Garantiert werden vielmehr "opportunities", nämlich die beständige Chance, durch immer wieder nachzuweisende Leistung die besten Arbeitsbedingungen zu erobern. Dazu gehören auch die besten Studenten, und die bekommt man durch gute Betreuung, intensiven Unterricht und exzellente Wissenschaft. Ein realistisches Kostenbewußtsein hat noch keinen Forscher vor der Höchstleistung abgehalten. In der selbstverantworteten Flexibilisierung der Universitätshaushalte sehe ich einen wirkungsvollen Lösungsschritt. Unsere Universitäten sind zwar unterfinanziert, schlimmer aber ist die Strukturkrise, in die wir über die Jahr(zehnt)e hineingeraten sind. Der Reparaturaufwand ist groß, aus der Massenhaftigkeit heraus aber ganz gewiß nicht zu bewältigen. Zuerst sind die Webfehler des Systems zu beseitigen. Und dafür brauchen wir dringend eine neue Hochschulkonstitution, wie die auf Personenverantwortung und Subsidiarität setzende Neuordnung der TU München mit ihrem starken Hochschulrat. 6. Das Hochschulstudium ist eine Lebensinvestition. Lange bekannt, erzielt der Universitätsabsolvent ein viel höheres Lebensarbeitseinkommen als die nicht-akademischen Ausbildungsberufe. Auch riskiert er eine geringere Arbeitslosigkeit und sichert sich ein höheres Sozialprestige. Rechnerisch beträgt die "Humankapital-Rendite" bei männlichen Uni-Absolventen 19 % (Rückflußdauer 5,4 Jahre), bei FH-Absolventen 28 %, bei Handwerkern nur 16 %. So gesehen, ist die Finanzierung des Hochschulstudiums ohne Kostenbeteiligung unsozial: Nach gängigem Wissen finanzieren die niedrigen Einkommen das Studium von Kindern aus Familien mit mittleren und höheren Einkommen mit. Der Nettoleistungstransfer von unten nach oben ist erheblich. Dabei blieb unbemerkt, daß die Bildungsreserven sozial schwächerer Familien nicht gelungen ist, im Gegenteil: Seit 1982 ist der Studentenan-teil aus Familien bis 4.000 DM Monatsgehalt (kaufkraftbereinigt) von 57 % auf heute 42 % gesunken. Gerecht wird die Finanzierung des Studiums erst bei einer angemessenen Kostenbeteiligung. Hier wird zu prüfen sein, wie hoch der Staat den öffentlichen gegen den individuellen Wert des Studiums ansetzt. Eine hochschulabhängige, abgestufte Kostenbeteiligung und bedarfsgerechte Stipendien bzw. Darlehen wären ein gleichermaßen sozialer wie zielführender Weg zur individuellen Begabungs- und Leistungsförderung. Nebeneffekte sind in verkürzten, vor allem ehrlichen Studienzeiten, Zurückdrängung übermäßiger Erwerbstätigkeit sowie die Förderung der Einsicht zu sehen, wonach ein Leistungsangebot auch seinen Preis hat. Wer zum Studium befähigt ist, darf daran aus finanziellen Gründen nicht gehindert werden, die Kostenfrage aber steht jetzt an. Die Universität selbst könnte hier zur Solidargemeinschaft werden. Stanford bezahlt mehr als 60 % seiner Studierenden die Gebühren, als Teil des "financial agreement", das es für jeden einzelnen gibt. Bezeichnenderweise spricht sich die Hans-Böckler-Stiftung, die Denkvorhut der Gewerkschaftsbewegung für Schulgeld und Studiengebühren jenseits des 16. Lebensjahres aus und schlägt dafür ein "Bildungskonto-Modell" vor. Nehmen wir doch vor allem in der higher education Abschied von der Gleichheitsfiktion, die uns international ins Hintertreffen gebracht hat! Es bringt nichts, wenn gleiche Lehrer gleiche Schüler mit den gleichen Methoden darauf vorbereiten, an gleichen Universitäten das gleiche zu lernen. Die Gleichheitsfiktion hat sich als niveauschädigend erwiesen und durch ein unsoziales Finanzierungssystem nicht einmal die soziale Integration geschafft. Es hat also zweimal versagt. Gerecht ist vielmehr, wenn unterschiedlichen Begabungen auf unser Ausbildungs- und Bildungswesen abgebildet und gefördert werden. Ein Bildungsangebot zu unterbreiten heißt Unterschiede zuzulassen. 7. Wir sollen uns Eliten leisten! Im Bildungswesen darf nicht das Mittelmaß das Maß aller Dinge sein; auch die Leistungseliten haben das Recht zur Entfaltung. Dabei geht es nicht nur um die Förderung der akademischen Eliten. Zur Elite gehört auch der Handwerksmeister, der seine Werte überzeugend seinem Wirkungsumfeld vermittelt. Eliten das sind die Gestalter des Wandels in allen Bereichen der Gesellschaft, verantwortungs- und leistungsbewußte Persönlichkeiten, die kritische Distanz zum Zeitgeist halten und bei Bedarf auch gegen den Strom schwimmen. Eliten gibt es überall in unserer Gesellschaft, an der Werkbank ebenso wie im Forschungslabor und in der Politik. Elite ist kein vererbbarer Zustand, sondern individuelle Qualität, die sich stets neu zu bewähren hat. Egalité und elite sind kein Widerspruch. Wenn wir Eliten nicht fördern, dann kommt es zur Abwanderung. Abwanderung aber ist die anarchische Form der Elitenbildung, denn sie ist auf den zahlungskräftigen Einzelnen und die teueren ausländischen Universitäten beschränkt. Eliten, das sind nicht nur die Spitzenforscher und Opernprimadonnen. Elitebildung heißt Förderung von Kreativität, Belastbarkeit, Ausdauer und Verantwortung. "Gerechtigkeit besteht nicht darin, daß man alle auf dasselbe Niveau drückt", sagt Heinz Maier-Leibnitz7), und sein Schüler Rudolf Mößbauer fügt hinzu: "Eine Gesellschaft, die es sich leistet, neben einer Förderung der Breitenausbildung die Förderung ihrer Spitzenbegabungen zu vernachlässigen, handelt zwangsläufig zum Schaden aller."8) Auftrag zum MutWas müssen wir besser machen, wenn wir die Welt zukunftsoffen mitgestalten wollen? Die Politik muß den Fokus auf eine Bildungspolitik setzen, die leistungsorientiert ist. Sie muß bereit sein, die Irrlehre zu begraben, daß die Begabungen und Interessen der jungen Menschen im wesentlichen gleich sind. Von der Politik erwarten wir, daß sie den Menschen Mut und nicht Angst macht. In seinen Lebenserinnerungen beklagt Altbundeskanzler Helmut Schmidt den "deutschen Zustand", wenn er sagt, daß in Deutschland alles Neue mit der Angst beginnt. Dies sei der Grund dafür, daß wir in vielen Zukunftstechnologien hinterher hinken, was aufgrund der historischen Entwicklung für die Deutschen keinesfalls naturgegeben sei. Er faßt zusammen: "Wenn wir uns als unfähig erweisen sollten, diese in der Welt einmalige Angst-Psychose zu überwinden, so wird die deutsche Arbeitslosigkeit weiter steigen". (S. 140)5) Die Politik ist zuständig für die Rahmenbedingungen, die der Wettbewerb der Begabungen braucht, ohne daß irgendeine Begabungsart diskriminiert wird. Die vernachlässigte berufliche Bildung im dualen System verdient verstärkte Aufmerksamkeit. Wir müssen das Bewußtsein fördern, daß Ausbildung, Bildung und Beruf zusammengehören. Schule und Hochschule sollen zum Beruf führen. Schule ist keine Spaßschule sondern Lernschule. Schule ohne Leistung ist undemokratisch. Die Universitäten müssen sich rückbesinnen auf die Wissenschaft als ihre zentrale Aufgabe, aus deren Erfüllung die akademische Lehre erst ihren Sinn schöpft. Die Wissenschaft ist ganz im Humboldtsche Sinne "als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes" zu verstehen8) Gesucht ist der richtige Weg zwischen dem uneinlösbaren Wesen der Universität und der Schulwerdung der neuen Universität. Die Universitätsforschung hat den Auftrag, die wissenschaftliche Wahrheit zu finden und sie zu verkünden, wenn sie gefunden ist. Vermehrt kommt es auf die Sprechfähigkeit der Wissenschaft in die Gesellschaft hinein an, denn in Zukunft wird vermehrt der öffentliche Konsens über den Auf- und Abbau ganzer Forschungsfelder entscheiden. Sprechen ist Bringschuld. Wissenschaft muß sich artikulieren, und zwar verständlich. Verständlichkeit und Dahinterschauen ist Teil der Akzeptanz. An der Chemie- und Gentechnikdiskussion der vergangenen Jahrzehnte ist uns dieses Phänomen bewußt geworden, wir hatten seine Bewußtseinsbrisanz klar unterschätzt. Die Universität hat die Aufgabe, die an Wissenschaft interessierte Jugend am wissenschaftlichen Gegenstand auszubilden, möglichst an der Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts. Exemplarisch ein tiefes wissenschaftliches Loch bohren, das muß moderne Universitätsausbildung leisten. Die Fachhochschulen vermitteln unmittelbar praxistaugliches Wissen, das einer raschen Umsetzung zugeführt wird. Berufsfähig die einen, berufsfertig die anderen; Methodentiefe die einen, Verfügungswissen die anderen auf diese vereinfachte Faustformel könnte man den Auftrag bringen. Universitäten sollen Nobelpreiswissen erfinden, aber auch die Übersetzer-talente ausbilden, die dieses Nobelpreiswissen in funktionierende Produkte, Verfahren und Dienstleistungen übersetzen. Mutig müssen wir unsere Position zwischen dem Elfenbeinturm der Wissenschaft und der verlängerten Werkbank der Industrie finden und immer wieder neu einstellen und behaupten, ohne den Bezug zu den wissenschaftlich-technischen Herausforderungen unserer Wirtschaft zu verlieren. Nur wirtschaftliche Wohlfahrt sichert auch die Arbeitsplätze in der Wissenschaft. Inhaltlich und strukturell sollten die Universitäten verstärkt auf Wettbewerb, Selbstverantwortung und Internationalität setzen. Leistungen in Forschung und Lehre sind saldierbar; die Kriterien hierfür sind in erster Näherung bekannt. Gefragt ist eine Bundesliga Hochschule mit Auf- und Absteigern. Dann erst werden Profile sichtbar, die den Vergleich gestatten und den Wettbewerb beflügeln. Die Wirtschaft sollte die Allianz mit dem neuen Wissen als ihre größte Chance begreifen. Neues Wissen aber ist eine Sache der Jugend: Nach Expertenschätzung entstehen die Schlüsselergebnisse der Grundlagenforschung weit überwiegend (> 90 %) durch die Arbeit der Nachwuchswissenschaftler, die jünger als 33 Jahre sind, hauptsächlich also in den Universitäten und sonstigen Forschungseinrichtungen des Landes. Forschung ist nicht wie eine Glühlampe, die man nach Bedarf ein- und ausschaltet. Forschung bedeutet Kontinuität des Wissenschaftssystems. Ohne Forschungskultur keine Forschungsergebnisse an der Spitze der Wissenschaft! Naturwissenschaftlich-technische Forschung ist heute organisierte Wahrheitssuche, die große, komplexe Apparate und Apparatismen voraussetzt, also "kritische Masse". Nur so ist diese Forschung auch nachhaltig im volkswirtschaftlichen Sinne. Die Wirtschaft muß Zukunftstechnologien beherzt aufgreifen und die Erfindungsschmieden der Hochschulen fördern. Abwartende Haltung ist in einer Zeit internationaler Wissensvernetzung schädlich. Weil ich weiß, daß das deutsche Steuerrecht die erheblichen Sparvermögen fleißiger Nachkriegsgenerationen für Stiftungen nicht zu aktivieren vermag, so brauchen wir gerade in der Wissenschaft Mäzene, die beides haben: Geld und Vertrauen, Geld für und Vertrauen in die wissenschaftliche Jugend. Es entsteht neues Wissen nirgends mit geringeren Kosten als in den Köpfen unserer jungen Menschen. Daß die Wirtschaft Fehler macht, wenn sie nicht jeden nur möglichen Ausbildungsplatz einrichtet, muß nicht gesagt werden. Selbst unsere Universität hat in den letzten Jahren 150 Lehrlingsausbildungsplätze in den verschiedensten modernen Disziplinen geschaffen. Bei uns begegnen sich Handwerk und Wissenschaft, weil sie in den technischen Fächern zusammengehören. Die Medien müssen positiv und aufrichtig der Zukunft gegenüberstehen. Sie müssen sich als Multiplikatoren des Mutes verstehen und die guten Nachrichten höher schätzen als die schlechten. Die Menschen schließlich müssen an die Zukunft ihres Landes glauben und sich gestatten, Patrioten im globalisierten Dorf zu sein. Literatur:
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