Naturwissenschaft und Technik im 21. Jahrhundert:

Globale Herausforderung, lokale Verantwortung

Rede des Präsidenten der Technischen Universität München, Professor Wolfgang A. Herrmann zum Neujahrsempfang

Herzogschloss Straubing, den 5. Januar 2000

Die Zukunft eines Landes wird durch nichts nachhaltiger geprägt als durch den Umgang mit den Talenten der jungen Menschen. Das wird an der Schwelle zum neuen Jahrhundert besonders deutlich. Es ist dies das Jahrhundert unserer Kinder, Enkel und Urenkel. Sie brauchen uns für die Bewältigung völlig neuer Herausforderungen technologischer, gesellschaftlicher und geopolitischer Art. Dafür brauchen sie vor allem Mut und Ermutigung. Jedoch beobachten sie bei uns älteren Krokodilen, die wir unsere Befindlichkeiten pflegen, unsere Renten in sichere Tücher zu bringen versuchen, noch "Mehr Demokratie" fordern, und uns über die Gesundheitsbedrohungen durch die letzten ppb’s Cadmium im Abwasser aufregen. Man "steigt aus", zum Beispiel aus der Kernenergie, unumkehrbar (sic!), bevor der Omnibus angehalten hat und die Magnetbahn fahrtüchtig ist. Wir postieren, ob nun begeistert oder populistisch, Windräder auf Schutthügel, und sind auch noch stolz auf die falschen Zukunftssignale. Wir denken absolut, wo Relatives angezeigt ist. Man lehnt jedes Restrisiko ab und riskiert, daß unsere Risikoabneigung riskant für die Zukunftsgestaltung unserer Nachkommen ist.

Dennoch: Bei allem Bekenntnis zu den modernen Technologien ist mir ein technokratisches Weltbild zuwider. Zu offensichtlich sind die Nachteile, die uns die Loslösung von Wertebezügen, die Abkehr von religiösen Verbindlichkeiten und die Hinwendung zum Interessensindividualismus gebracht haben. Technologieführerschaft ereignet sich heute auf Märkten mit eigenkulturellen Hintergründen, die wir kennen und achten müssen, um dort erfolgreich zu sein. Die Kulturen Indiens und Ostasiens, der künftigen Bevölkerungsgiganten im Vergleich zum "europäischen Zwerg", werden uns Wirtschaftsräume in neuen globalen Netzwerken nur öffnen, wenn wir auch das Brauchtum und die geistige Bindung jener Menschen zu würdigen wissen. Weltoffenheit ist angesagt, und sie beginnt in unseren Schulen. Bildung und Ausbildung, Beruf und Berufsbildung sind sichere Indikatoren einer Landeskultur. Handwerk, Wissenschaft und Technik sind die Innovationsquellen der modernen Wissensgesellschaft.

Bildung und Beruf

Bildung und Beruf wurden früher im Zusammenhang gesehen. Für Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) war die Berufsbildung "die Pforte zur Menschenbildung". Erziehung soll über den Beruf zu innerer Würde führen. Nach einem Gleichgewicht von Theorie und Praxis, von Bildung und Beruf strebte der große Goethe in seinem "Wilhelm Meister" — der Name als Programm! In unserem Jahrhundert integrierte dann Georg Kerschensteiner (1854 - 1932) Bildung, Arbeit und Beruf in eine zeitgerechte Pädagogik. Den "Belehrungsbetrieb" der allgemeinbildenden Schulen mit ihren unverdaubaren Wissensaggregaten kritisierte er in seiner "Selbstdarstellung" (1926) zynisch wie folgt: "Die mit Wissensstoffen schön patinierten 13jährigen Kinderköpfe erschienen bei der Revision am Ende des 16. Lebensjahres wie blankpolierte hohle Kupferkessel. Die Patina war eine unechte, und drei Jahre Wind und Wetter des praktischen Lebens genügten, sie zu zerstören."

Die berufliche Bildung ist hinter dem stürmischen Ausbau der allgemeinbildenden Schulen seit Kriegsende zurückgeblieben, gegen den Bedarf der modernen Technik, mehr noch: Sie hat dadurch ihre pädagogische Prägekraft verloren. Bildung wurde mit fortschreitender Arbeitsteilung und Spezialisierung zum Symbol für humane Selbsterfüllung: Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Emanzipation, säkularisierter Individualismus. Spätestens seit 1964 der Pädagoge und Philosoph Georg Picht die "deutsche Bildungskatastrophe" ausgerufen hatte, verblaßte die berufliche Bildung und die soziale Dimension des Berufs. Die Bildung unserer Tage ist, frei nach Goethe, "gebildet aber bildlos" geworden. Wir haben vergessen, Pestalozzi und Kerschensteiner neben Fichte und Humboldt zu stellen. Schon beginnen wir wieder vom "lebenslangen Lernen" zu sprechen, vom praxisbegleiteten Studium, von Fort- und Weiterbildung als den neuen Märkten der Universität. Handwerkliche und theoretische Begabungen sind Grundlage aller Technologie, der alltäglichen wie der Spitzentechnologie.

Basisinnovationen des 21. Jahrhunderts

Wohin, so fragt man an der Jahrhundertschwelle, geht die technologische Entwicklung? Welche Ursachen und welche historische Ableitung hat diese Entwicklung? Die wirtschaftliche Entwicklung der westlichen Welt läßt sich seit Beginn der Industriellen Revolution durch die "Theorie der langen Wellen" beschreiben. Man teilt sie in sog. Kondratieff-Zyklen ein (Nicolai Kondratieff [russischer Nationalökonom], 1926). Jeder dieser Zyklen wurde durch eine Basisinnovation ausgelöst. Eine Basisinnovation ist als Wirtschaftslokomotive definiert, die nicht nur zu einem großen Konjunkturzyklus führt, sondern auch die Reorganisation der gesamten Gesellschaft und ihrer Arbeitsstrukturen umfaßt. Das Kennzeichen der bisher fünf Kon-dratieff-Zyklen ist die Erschließung immer neuer Knappheitsfelder der Gesellschaft, die sich von der Agrargesellschaft über die Industrie- zur Wissensgesellschaft gewandelt hat: .

1. Kondratieff: 1800 — 1850 Dampfmaschine/Baumwolle

2. Kondratieff: 1850 — 1900 Stahl/Eisenbahn

3. Kondratieff: 1900 — 1950 Elektrotechnik/Chemie

4. Kondratieff: 1950 — 1975 Petrochemie/Automobilbau

5. Kondratieff: 1975 — 2000 (?) Informationstechnologie

Innovation heißt gegenseitige Mobilisierung von Wissenschaft und Wirtschaft. Zuwenig Innovation läuft auf strukturelle Arbeitslosigkeit hinaus.

Für den jetzt einsetzenden 6. Kondratieff-Zyklus gibt es drei Kandidaten, die einen neuen, langen Wirtschaftsaufschwung zu tragen versprechen:

1) Vernetztes Wissen

2) Intelligente Materialien und Werkstoffe

3) Biotechnologie, Umwelt und Gesundheit ("Life Sciences")

Was hier heterogen erscheint, gehorcht dem eigentlichen Zauberwort unserer Zeit: Es heißt Miniaturisierung. Aus der Kleinheit der Dimension wird die Welt von morgen den technologischen Fortschritt schöpfen. Nicht mehr mit der Elle durchschreiten wir messend diese Welt. Vielmehr ist es die Wellenlänge des Lichts, mit der wir die Mikrostrukturen der Materie erschließen, der belebten wie der unbelebten. Dadurch wurde es möglich, unvollstellbar große Datenmengen auf unvorstellbar kleinem Platz zu speichern (Halbleiter, Chips!). Nicht von Zeilen, Seiten und Büchern spricht der Mensch: Megabits und Gigaflop-Rechner halten sein Wissen vor. Informationstechnologien sind rechnende Enzyklopädien, fast 50 Millionen Rechner sind heute miteinander vernetzt. Hatte vor 25 Jahren ein Megabit Speicherkapazität noch den Gegenwert eines Einfamilienhauses, so stand vor 10 Jahren eine Briefmarke dagegen, und heute ist die Büroklammer der materielle Megabit-Gegenwert. Das Handy von heute hat mehr Rechnerleistung als der NASA-Rechner, der 1968 die erste Mondlandung steuerte. Ja, die Briefe sind schneller geworden. Aber sie sind nicht mehr so schön. Das Gutenberg-Zeitalter ist zu Ende. Jedenfalls liegt in der Miniaturisierung die technische Innovation. Das Nanometer (nm) ist die Dimension, ein Millionstel Millimeter.

Zurück zum 6. Kondratieff-Zyklus:

Informationsnetzwerke, Intelligente Materialien und Werkstoffe

Während die Information ihre größten Produktivitätsreserven im computergestützten Umgang mit ungenauem Wissen hat, mit der Optimierung von Informationsflüssen im Menschen (neuronale Netzwerke) und zwischen den Menschen (psychosoziale Strukturerfassung und Korrekturmechanismen), so sieht man in den Neuen Materialien ("advanced materials") die Plattform der Zukunftstechnologien, vor allem in den "optischen Technologien" bei der technischen Erschließung der elektromagnetischen Strahlung, genannt Licht. Beispiele: CD-Player, Fotokopierer, Laser-Scanner, lichtemittierende Dioden (LEDs), Lasertherapie. Die Zukunft entsteht hier nicht aus der Mitte der Wissenschaft heraus, sondern an deren Rändern. Dort begegnen sich die klassischen Disziplinen. Wenn hier fachliche Kompetenzführerschaft zusammentrifft, namentlich aus Chemie, Physik, Medizin, Maschinenbau sowie Elektro- und Informationstechnik, dann wird man mehr als nur körperverträgliche Diagnostiksensoren und langlebige Miniaturersatzteile für den menschlichen Körper beischaffen. Nur mit neuen Werkstoffen, die auf dem Verständnis der nanostrukturierten Materie beruhen, wird man die Photovoltaik und damit die Energietechnik voranbringen, nicht aber mit politisch begründeter Solarstromsubvention. Man wird Kraftturbinen effizienter und die Räder des ICE-Zugs sicherer machen. Chemische Stoffumwandlungsprozesse werden vielfältiger aber zielsicherer und gleichzeitig ressourcensparsamer als bisher (Katalysatoren). Die Stromübertragung mit Supraleiterkabeln wird im Idealfall verlustlos funktionieren. HighTech-Materialien stellen bisher ungesehene Wertschöpfungen in Aussicht, wenn wir eigene Produktionsstandorte haben und uns noch die Herstellung von Großchemikalien gestatten. Der Import hochreiner Salzsäure aus Japan für die Chip-Fertigung ist kein gutes Zeichen für unser einst führendes Chemieland.

HighTech-Innovationen ohne Produktionsstandorte sind volkswirtschaftlich sinnlos. Globalisierung ist nämlich auch Lokalisierung, heißt Vor-Ort-Kompetenz. Geforscht wird wo produziert wird.

Nun wird man die Geschichte des Homo sapiens nicht primär nach den Werkstoffen einzuteilen, die er als Werkzeuge benutzt hat. Unbestritten ist aber auch, daß die Werkstoffe die gesamtkulturelle Entwicklung nachhaltig beeinflußt haben: vom Stein über das Eisen, die Bronze, den Zement, den Stahl, die Kunststoffe, zum Chip-Silicium. Wer neue Werkstoffe möchte, muß auch die besten analytischen Methoden beherrschen. So ist die "Neue Forschungs-Neutronenquelle" FRM-II in Garching erforderlich, weil Neutronen die Struktur der Materie akkurat erfassen. Anders als Röntgenstrahlen durchdringen Neutronen kompakte Materie und beugen am besten an Wasserstoffatomen. Neutronen erfassen die Materialqualität anorganischer Stoffe (Legierungen, Keramiken, Dünnfilmschichten aus Galliumnitrid) ebenso präzise wie die Feinstruktur biologischer Makromoleküle (Polypeptide, DNA, Enzyme). Qualitätsverbesserung und -sicherung von technischem Gerät stehen obenan. Die Neutronenquelle verschafft uns eine wissenschaftlich-technische Monopolstellung ersten Ranges. Das technische Konzept der TU München findet schon heute weltweite Anerkennung. Die dazugehörige bayerische Politik zeichnet sich durch Nachhaltigkeit aus, weil sie langfristig technischen Fortschritt sichert.

Nachhaltigkeit: — Motiv eines weiteren Jahrhundertthemas, das auf Wissenschaft und Hochtechnologie setzt, nämlich

Gesundheit, Umwelt und Ernährung (Life Sciences)

Nicht ohne Grund spricht man heute von der Biologisierung von Naturwissenschaft und Technik. So wie die Chemie seit Beginn des Jahrhunderts der Natur Synthesemethoden komplizierter Moleküle abschaut und diese fabrikmäßig nachbaut (Naturstoffe, Chemotherapie), so sind es biologische Wirkprinzipien, an denen sich morgen ganze Technologien orientieren werden. Es ist die Biologie, die dem neuen Jahrhundert die großen Fragen stellt. Die Chemie und die Physik werden mit Hilfe der Ingenieurwissenschaften die Fragen beantworten und umsetzen. Wie wird elektrische Ladung in Nervenzellen übertragen, wie legen Elektronen große Strecken in biopolymeren Domänen zurück und steuern dabei Körperfunktionen und Energiehaushalt? Wie lassen sich die gigantischen Datenmengen, die den lebenden Organismus ausmachen, ermitteln, aufzeichnen, ordnen, nutzen? Wie setzt man die Mikrotektonik und die dynamischen Funktionsprinzipien der belebten Welt in technisches Gerät um, von der Miniatur bis zur Großanlage? Bionik heißt diese Entwicklung zwischen Natur und Technik.

Der gemeinsame Schlüssel hierzu sind Naturwissenschaft und Technik. Keinen Bereich der Erkenntnis soll es hier geben, dem wir uns verschließen. Das betrifft auch den Erbsubstanzträger im Pflanzen- und Tierreich, die DNA, den größten molekularen Informationsspeicher. Die Entdeckung der Doppelhelix-Struktur der DNA durch Watson und Crick (Nobelpreis 1960) war wohl die wichtigste, jedenfalls die nachhaltigste Entdeckung des 20. Jahrhunderts. Auf der Basis dieser genial einfachen Theorie und mit Hilfe der neuen Superrechner wird das Human-Genom-Projekt "HUGO" in spätestens fünf Jahren die genetische Kodierung des Menschen entschlüsselt haben. Dann wissen wir alles, was uns der liebe Gott an Erbanlagen in die Wiege gelegt hat. Die Folgen für die Medizin sind unabschätzbar. Und für unser Bewußtsein auch.

Die neue Biotechnologie, die über die Bier- und Penicillinherstellung längst hinausgeht, ist im Grunde eine Informationsverarbeitungstechnik auf der molekularen Ebene. Nicht nur wegen des exponentiellen globalen Bevölkerungszuwachses, sondern auch wegen der hohen Individualansprüche in den fortgeschrittenen Ländern werden künftig die Landwirtschaft, der Umweltschutz, die Ernährungsindustrie und die Medizin als die Schwerpunktfelder der Life Sciences ohne Biotechnologie nicht auskommen. Bio-Chips sind als Bausteine fortgeschrittener Informationssysteme denkbar, aber auch an den Elektronenspin als neues Computerprinzip. Die Wasser-, Luft- und Bodenreinigung sind weltpolitische Probleme, und gerade für die wachsenden Ballungszentren sind Abfall- und Abwassertechnologien von vitalem Inte-resse. Hier entscheidet das Genommuster (= Genomik) der Mikroorganismen (Mikrobiologie) über den Erfolg.

Unvermeidlichkeit der Technik als Gottesfurcht

Halten wir inne und fragen: Ist es unvermeidlich, in das "Innerste der Welt" vorzudringen, ist es notwendig? Verträgt sich das Genomik-Puzzle mit der Gottesfurcht der Alten? Wenn mit dem Wissen auch die Weisheit kommt, sollten wir guter Dinge sein. Der Zuwachs an technischem Wissen ist ebenso notwendig wie das Wachstum der Erdbevölkerung unvermeidlich ist. Der Homo sapiens hat 300 Tsd. Jahre gebraucht, um es auf eine Population von 1 Milliarde zu bringen (1825). In weiteren 175 Jahren haben wir uns auf 6 Milliarden vermehrt, und in kaum 50 Jahren bewerben sich 10 Milliarden Menschen um die Güter der Zivilisation, vielleicht sogar 14 Milliarden. Das ist die Szene, die das Welttheater dieses neuen Jahrhunderts spielen wird! Da geht es um Leben und Überleben, da stellt sich die Frage nach der Tragekraft von Mutter Erde, ungeschminkt und unerbittlich. Nahrung und Energie als Innovationsauftrag, nicht nur — wie Naive meinen — eine Frage der Verteilung. Nein, Nahrung und Energie werden auch und vor allem ein Mengenproblem sein, und ein Tor ist, wer den Wachstumsregionen Energieverzicht verordnen möchte. Man muß damit rechnen, daß im Jahr 2020 die Hälfte des Energieaufkommens von den 85 % der Weltbevölkerung in den Entwicklungsländern beansprucht wird.

Die Hoffnung auf die dezimierende Wirkung von Aids und anderen Seuchen in Drittwelt-Ländern zeigt billigen Wohlstandszynismus, hilft aber nur insofern weiter als mit diesem Thema der Siegeszug der molekularen Wissenschaften abermals aufscheint. Dieses Jahrhundert wird den Krebs besiegen, so wie das 20. Jahrhundert die Infektionskrankheiten besiegt hat, im übrigen eine deutsche Errungenschaft (Robert Koch, Paul Ehrlich).

Das bevölkerungspolitische Problem besteht zusätzlich darin, daß 95 % des Wachstums in technologisch unterentwickelten Regionen erfolgen (z.B. 3 % in Afrika vs. 0.2 % in Europa). In 25 Jahren werden China und Indien mit ca. 3 Milliarden Menschen den mächtigsten Bevölkerungsblock darstellen, aber auch andere Riesen wird es neben dem "Bevölkerungszwerg Europa" geben: Pakistan (270), Indonesien (260), Brasilien (245). Mehr noch: Der Bevölkerungsdruck bewirkt ein bisher ungesehenes Ausmaß an Verstädterung (Clusterbildung). Ginge es nach unseren Maßstäben, so müßten in den Entwicklungsländern jährlich fast 40 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Während reiche Gesellschaften ihre Ressourcen zunehmend für die älteren Menschen aufwenden (bis 18 % Bevölkerungsanteil >65 Jahre), verlangen die weitaus größeren Entwicklungsregionen dieselben Ressourcen für ihre Kinder (Afrika 3 % > 65 Jahre).

Im Unterschied zum Beginn der Industriellen Revolution (Robert Thomas Malthus) wird es Völkerwanderungen zu den technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften geben. Die Erfahrung der letzten Jahre und Jahrzehnte lehrt, daß selbst relativ begrenzte transnationale Wanderungen politische sowie soziale Spannungen ausgelöst haben. Es kommt hinzu, daß die industriellen Demokratien — mit 20 % der Erdbevölkerung im Jahre 1950 — in einem relativen Schrumpfungsprozeß sind, der sie auf weniger als 10 % zulaufen läßt (2025).

Was sagt uns dieses Szenario? Keines der derzeitigen Probleme in Europa sei heruntergespielt, kein ökologisches Problem, keine ppb-Diskussion, keine Rentendiskussion. Aber diese Probleme sind nichts vor der gigantischen Herausforderung der Bevölkerungsexplosion, das ist die Botschaft. Die Lösungsansätze erwartet man von den technischen Wissenschaften. Da ist zum Beispiel eine Technische Universität gefordert, deren Säulen die Bereiche Ernährung, Land- und Forstwirtschaft, Naturwissenschaft, Ingenieurwissenschaft und Medizin sind. Dieses geradezu einmalige Fächersortiment sollte uns ermutigen, die Probleme künftiger Lebensbedingungen anzunehmen.

Da sind wir also wieder bei der Unvermeidlichkeit von Naturwissenschaft und Technik. Als Techniknation tragen wir einerseits Verantwortung, Technik als Form von Gottesfurcht. Andererseits sind technische Lösungen für die drängenden Menschheitsprobleme Nahrung, Energie und Gesundheit unser stärkster Wettbewerbsfaktor. Die Zukunft beginnt aber zu Hause, beginnt in den Elternhäusern und Schulen, sie beginnt mit Mut statt Angst, mit Risiko statt Sicherheit, mit Abenteuer statt Bequemlichkeit, mit Weltoffenheit statt Spießertum. Die Zukunft beginnt in den Köpfen.

Biologie und Energie

So gesehen sind die Ausstiegsszenarien der Kernenergie genauso irrational wie die Verweigerungshaltung gegenüber der Biotechnologie. In den großen Themen Gesundheit, Umwelt und Ernährung werden wir nur vorankommen, wenn wir die Erb-informationen von Pflanze, Tier und Mensch kennen und sie nutzen, je nach Problem und in unserer Verantwortung als "Krone der Schöpfung". Die viel gescholtene chemische Medikamentenfabrik könnte künftig dem Nutztier weichen, dessen Organismus für die Herstellung "organischer" Pharmazeutika bemüht wird (Gene Pharming); Fabrikgebäude und technische Anlagen wären dann verzichtbar. Ob Herstellung neuer Impfstoffe, ob Züchtung schädlingsresistenter Gemüse- und Obstsorten, oder alternativer Pflanzenschutz — der Fortschritt basiert auf Gentechnik und deren Umsetzung, sprich: Biotechnologie. Kein Ruhmesblatt, daß wir als wissenschaftlich-technisches Führungsland, als zweitgrößte Exportnation der Erde und ehemals "Apotheke der Welt" heute nur sechs gentechnische Produktionsanlagen haben; Japan hat 130, die Vereinigten Staaten 300. Um den 6. Kondratieff-Zyklus zu tragen, wird eine Basisinnovation etwa 2000 Mrd. US-Dollar Umsatz haben müssen, um als Weltwirtschaftslokomotive zu wirken. Davon ist man in der Biotechnologie zwar weit entfernt, doch wir werden den Anschluß nicht finden, wenn wir nicht rasch die Aufholjagd beginnen und wenn wir es zulassen, daß Gründerexistenzen die deutschen Akzeptanzbarrieren fürchten müssen und ins Ausland abwandern. Abwanderung handwerklich-technischer Intelligenz ist die anarchische Form von Elitebildung. Dann wird auch zutreffen, was der Journalist Bruce Nußbaum in der amerikanischen "Business Week" schon 1983 befürchtet hat:

"Deutschland stellt nach wie vor die besten 19.-Jahrhundert-Produkte der Welt her: schwere Turbinen, wundervolle Autos und Präzisionswerkzeuge. Aber es kann nicht mithalten, wenn es zur Hochtechnologie kommt: zu Robotern, Telekommunikationsausrüstungen, Mikroben-Fabriken, Computern, Halbleitern, Unterhaltungselektronik."

Auch das Energiethema handhaben die Deutschen irrational. Energie ist ein Attribut des zivilisatorischen Fortschritts, eng gekoppelt an volkswirtschaftliche Prosperität. Energie basiert stark auf Erdöl, Erdöl aber ist ein politischer Faktor, insbesondere in der Hand der OPEC-Staaten (2010 : 50%ige Weltölförderung; > 75 % der globalen Erdölreserven). Erdöl ist mit einem Anteil von 40 % der wichtigste Energieträger in unserem Land und wertvoller Rohstoff für die chemische Industrie, eine der tragenden Säulen unserer Volkswirtschaft und (noch) stärkster Exportfaktor.

Aber Erdöl und die anderen fossilen Brennstoffe (Erdgas, Kohle) sind endlich, so oder so*. Und ihre Verbrennung, etwa in Heiz- und Stromkraftwerken, erzeugt Kohlendioxid, zu dessen Reduzierung wir uns aus Gründen des globalen Klimaschutzes verpflichtet haben: minus 21 % bis zum Jahr 2012. Hier setzen viele auf die unendliche Sonne per Photovoltaik, jedoch erfüllen unsere Breiten diese Hoffnung nur unvollständig (Kohle-/Kernkraftwerke 8000 h/a, Photovoltaik 1200 h/a). Der Strompreis aus kleinen und mittleren Photovoltaik-Anlagen mag von heute 1,50 DM auf 60 Pfennige pro Kilowattstunde in 10 Jahren sinken, ist dann aber immer noch den Faktor 15 höher als der Preis von Kohle- und Kernenergiestrom. Eine Sonnenstrom-Anlage schneidet in puncto C02-Emission leider schlecht ab, zwar nicht beim Betrieb aber bei der Fertigung: Fünf bis sieben Jahre muß sie laufen um die Energie zu produzieren, die zu ihrer Herstellung verbraucht wurde. Und wie bei den Windrädern gibt es ein weiteres Handicap: Elektrische Energie hat die spezifische Eigenschaft, daß sie im Augenblick ihres Verbrauchs auch erzeugt werden muß, "just in time". Diesem Anspruch genügen witterungsabhängige Energiequellen nicht. Elektrizität in großen Mengen zu speichern und bei Bedarf schlagartig verfügbar zu machen, muß der größten Forschungsanstrengungen dieses Jahrhunderts wert sein. Solange man aber eine Ökosteuer in die Rentenfinanzierung umlenkt, wird der Solarstrom von seiner Subvention nicht herunterkommen. [Der Umweg über Wasserstoff durch Wasser-Elektrolyse erscheint möglich, ist aber verlustreich.] Solarstrom hat aus technisch bedingten Gründen einen vernachlässigbaren Anteil von Solarstrom 0,02 ‰ in Deutschland.

Ist Erdgas die Alternative als Primärenergieträger (Kraft-Wärme-Kopplung)? Nein, so meine ich, denn das CO2-Problem bleibt, und auch das Nachhaltigkeitsgebot sieht sich nicht eingelöst. Erdgas ist als Kohlenwasserstoff viel zu wertvoll zum Verheizen; das größere Potential hat Erdgas als Rohstoffbasis der chemischen Industrie mit ihrem hochdifferenzierten Produktspektrum. Dort liegt die Wertschöpfung.

Bleibt die Kernkraft: Sie ist witterungs- und standortunabhängig, ist auslastungsflexibel, CO2-frei, billig (wie Strom aus Kohle, bald < 4 Pfg./kWh), und sicher. Es ist eine Tatsache, daß die Summe der Gesundheitsrisiken stark abnimmt in der Reihe Kohle — Photovoltaik — Erdgas — Kernkraft — Wind. Im Mittel verursachen Kohlekraftwerke wesentlich höhere Risiken als Kernkraftwerke, den bedauerlichen und vermeidbaren Unfall von Tschernobyl eingerechnet. Es entspricht technischer Logik, daß mehr als 30 % der deutschen Stromproduktion aus Kernkraftwerken (19) kommen, d.s. 180 Milliarden kWh. Diese Lücke könnte Frankreich allein nicht schließen (57 Kernkraftwerke, 80 %), aber zusätzlicher Atomstrom aus Tschechien hat auch keine andere Farbe und bringt unseren Nachbarn Devisen. Teuere Forschung können sich aber nur wohlhabende Länder leisten, die nicht ihren Strom teuer vom Nachbarn kaufen. Die politische Diskussion zur Kernenergie ist wissenschaftlich, wirtschaftlich, ökologisch und als Risikodiskussion unseriös. Was bleibt ist die Nachhaltigkeitsfrage, die zwischen den unbestreitbaren Vorteilen der Kernenergie und dem langfristigen Verbleib radioaktiver Stoffkonzentrate (Brennelemente) abwägen muß. Wie fast alle Energie-Ressourcen, so ist auch die Kernenergie eine Übergangslösung. Diese Welt wird noch mehr als 50 Jahre mit der Kernenergie leben müssen, wenn die genannten Energieoptionen ohne ernsthafte Krisen — insbesondere aus den Entwicklungsländern — den Durchbruch schaffen sollen. China setzt auf Kernenergie und Wasserkraft (wie Bayern im übrigen) und wird seine Kohle (die wir nicht haben) gegen Devisen exportieren, für das Land die wirtschaftlichste Lösung.

Da ist für ein Hochtechnologieland Forschung angesagt. Forschung bringt uns voran, Subvention wirft uns zurück, ist Augenwischerei, siehe das 1000-Dächer-Programm — wirtschaftlich und ökologisch unergiebig. Wir brauchen Geld für die Erforschung der Energieerzeugung und der Energiespeicherung. Die Kernfusion als Umkehrung des Kernspaltungsprinzips muß trotz des erst langfristig zu erwartenden Erfolges ein Thema sein.

Nachwachsende Rohstoffe

Auch die Nachwachsenden Rohstoffe müssen wir als neue Energie- und Werkstoffe ernst nehmen. Für die stoffliche Nutzung müssen Pflanzen durch Optimierung ihres "Gencomputers" so "erzeugt" werden, daß sie bei vorgegebenen Zieleigenschaften (mechanische Festigkeit, chemische Inhaltsstoffe) eine ausreichende Wachstumsgeschwindigkeit mit einem zweckgerichteten Aneignungsvermögen für die Nährstoffe aus dem Boden verbinden. Es gilt die Syntheseleistung der Natur zu erschließen, um mit Licht, Wasser und Kohlendioxid nützliche komplexe Stoffe zu erzeugen, eine große Herausforderung an Naturwissenschaftler und Ingenieure.

Biogene Rohstoffe ("Biomasse") sind auch für die Energiegewinnung chancenreich. Kürzlich wurde bekannt, daß in Louisiana eine Fabrik entsteht, die aus Abfällen der Land- und Forstwirtschaft 75 Mio Liter Treibstoffethanol produziert (BC International Corp.). Die dafür erforderlichen Mikroorganismen sind veränderte E.coli-Bakterien des Mikrobiologen Lonnie Ingram von der University of Florida.

Nunmehr werden Sie verstehen, daß wir für die Technische Universität München das Megathema der Life Sciences mit dem Standort Freising-Weihenstephan in die Mitte der Universität stellen, verbunden mit den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie der Medizin in Garching und München. Sie werden auch verstehen, daß Themen wie Bioinformatik, Bionik, Pflanzen- und Nutztiergenetik, aber auch - durchaus nicht im Widerspruch, - der ökologische Landbau Entwicklungsthemen sind. Auch das Thema der Nachwachsenden Rohstoffe muß ohne Agrarwissenschaft, Chemie, Biologie und Verfahrenstechnik erfolglos bleiben. Die Zukunft liegt in der Querschnittsbildung. Der Standort Straubing hat mit seiner Fortschrittswilligkeit im landwirtschaftlich geprägten Umfeld eine gute Chance, zum Stützpunkt des "Internationalen Kompetenzzentrums für Nachwachsende Rohstoffe" zu werden. Ich überbringe ein klares Bekenntnis zu unserem gemeinsamen Vorhaben. Die Nachwachsenden Rohstoffe zeigen in bezug auf ihre energetischen und stofflichen Nutzungsmöglichkeiten den Forschungsbedarf in puncto Materialien und Life Sciences symptomatisch auf.

Bildung: Generationenpflicht, Lebensqualität, Wettbewerbsvorteil

Wir fragen uns: Schultern wir die Aufgaben, die uns das neue Jahrhundert bringt, kaum daß es begonnen hat? Zeit dafür hätten wir, denn wir leben heute doppelt so lange wie die Menschen vor einhundert Jahren — der technische Fortschritt läßt grüßen.

Nicht die Zeit aber ist ein Wert für sich. Der Wert liegt in der Gestaltung der Zeit. Wenn sich das Wissen der Welt noch so rasch vermehrt, es wird doch beschränkt bleiben, wenn es gestaltlos ist. Erst mit der Orientierung wird mehr Wissen gebildetes Wissen. Mehr denn je bedeutet Bildung vorwärtsgewandte Weltoffenheit aus dem historischen Bezug. Wissen allein macht die Menschen sittlich nicht besser. Das wußte schon Rousseau auf die berühmte Preisfrage der Französischen Akademie der Wissenschaften zu antworten. Wissenszwerge dürfen nicht zu Informationsriesen werden! Damit schließt sich der Kreis: Das kleine Europa, dessen unbedeutendste Region wir nicht sein müssen, wird an wirksamen Lösungen der großen Zukunftsfragen dann beitragen, wenn wir

  1. die Spitze der wissenschaftlich-technischen Entwicklung selbst definieren, im Bewußtsein unserer herausragenden Leistungen im 19. und 20. Jahrhundert, und wenn wir
  2. das technische Wissen aus dem Schöpfungsauftrag heraus verstehen, indem es uns zum Orientierungswissen wird, und wenn wir es in der Verantwortung für alle Menschen anwenden, nicht nur für uns daselbst.

Wettbewerb und Verantwortung, Leistung und Rücksicht. Das ist ein Bekenntnis zu einem auf Leistung und Werte orientierten Bildungswesen. Unsere Schulen und Hochschulen müssen die Talente der Jungen differenziert abbilden und fördern. Wer die "Welt mit der Hand begreift" (Roman Herzog) muß genausoviel gelten wie der abstrakte Denker, Handwerk und Hochschule sind gleichermaßen wichtig.

Naturwissenschaft und Technik sollen als legitime, zeitgemäße Ausdrucksformen unserer Kultur begriffen werden, nicht anders als sich jede Epoche künstlerisch, literarisch und philosophisch artikuliert. Allerdings steigt in dem Maße, in dem Wissenschaft und Technik alle Lebensbereiche durchdringen, die Erfordernis, diesen Prozeß als neuen, integralen Kulturbegriff zu erfassen. Das heißt: Ingenieure, Chemiker, Physiker von morgen werden geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen "Durchblick" im wahrsten Sinne des Wortes haben müssen. Umgekehrt werden der Arzt, Jurist, der Kaufmann ohne "Durchblick" naturwissenschaftlich-technischer Zusammenhänge nicht mehr als kompetent gelten, denn ihr Entscheidungsraum ist längst nicht mehr technikfrei. Das trifft die Philosophen und Theologen besonders hart, aber es trifft auch sie.

Ein Bildungsangebot zu unterbreiten, heißt auch Begabungsunterschiede zuzulassen.

Nehmen wir deshalb Abschied von der Gleichheitsfiktion, die uns international ins Hintertreffen gebracht hat. Wie Heinz Maier-Leibnitz, der Nestor der deutschen Neutronenphysik und langjähriger Präsident der Deutschen Forschungsgesellschaft, zutreffend sagte: "Gerechtigkeit besteht nicht darin, daß man alle auf dasselbe Niveau drückt!" (An der Grenze zum Neuen, 1977) Nicht das Mittelmaß darf das Maß aller Dinge sein; auch die Leistungseliten müssen zu ihrem Recht kommen. Dabei geht es nicht nur um die Förderung der akademischen Eliten; zur Elite gehört auch der Handwerksmeister, der seine Werte überzeugend in seinem Wirkungsfeld vermittelt. Eliten — das sind die Protagonisten und Gestalter des Wandels in allen Bereichen der Gesellschaft, verantwortungs- und leistungsbewußte Persönlichkeiten, die kritische Distanz zum Zeitgeist halten und gelegentlich auch gegen den Strom schwimmen. Eliten gibt es überall in unserer Gesellschaft, an der Werkbank ebenso wie im Forschungslabor und in der Politik. Elite ist kein vererbbarer Zustand, sondern individuelle Qualität, die sich stets neu zu bewähren hat. Egalitè und elite sind kein Widerspruch.

Erwartungen

Von der Politik erwarten wir, daß sie den Menschen Mut und nicht Angst macht. In seinen Lebenserinnerungen (Weggefährten, Siedler-Verlag 1996) beklagt Altbundeskanzler Helmut Schmidt den "deutschen Zustand" und sagt, daß in Deutschland alles Neue mit der Angst beginnt. Dies sei der Grund dafür, daß wir in vielen Zukunftstechnologien hinterher hinken, was aufgrund der historischen Entwicklung für die Deutschen keinesfalls naturgegeben sei. Er faßt zusammen: "Wenn wir uns als unfähig erweisen sollten, diese in der Welt einmalige Angst-Psychose zu überwinden, so wird die deutsche Arbeitslosigkeit weiter steigen". (S. 140)

Die Universitäten müssen sich rückbesinnen auf die Wissenschaft als ihre zentrale Aufgabe, aus deren Erfüllung die akademische Lehre erst ihren Sinn schöpft. Die Wissenschaft ist — ganz im Humboldtschen Sinne — "als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes" zu verstehen*. Gesucht ist der richtige Weg zwischen dem uneinlösbaren Wesen der Universität und der Schulwerdung der neuen Universität. Die Universität hat den Auftrag, die jungen Menschen am wissenschaftlichen Gegenstand auszubilden, Universität ist wissenschaftsgetriebene Schule. Nobelpreiswissen und "Übersetzertalente" muß Universität hervorbringen. Vermehrt kommt es auf die Sprechfähigkeit der Wissenschaft in die Gesellschaft hinein an, denn in Zukunft wird vermehrt der öffentliche Konsens über den Auf- und Abbau ganzer Forschungsfelder entscheiden. Sprechen ist Bringschuld. Wissenschaft muß sich artikulieren, und zwar verständlich. Akzeptanz ist eine Vertrauensqualität, die Verständlichkeit und Dahinterschauen voraussetzt. An der Chemie- und Gentechnikdiskussion der vergangenen Jahrzehnte ist uns dieses Phänomen bewußt geworden.

So groß der Selbstwert von Bildung auch ist: Bildung kann neben technischem Wissen unser bedeutendster Wettbewerbsfaktor werden. Wer gebildet ist, versteht die Menschen in den fernen Kulturen, schätzt ihre gesellschaftlichen und religiösen Bindungen, würdigt ihre geopolitische Haltung. Wenn wir technisch-wissenschaftliche Spitzenleistungen mit Bildungsverbindlichkeiten zusammenbringen, dann bestehen wir den Auftrag dieses Jahrhunderts. Die Welt von morgen ist keine Staatenwelt mehr, wie sie sich vom Westfälischen Frieden ableitet. Sie ist eine Welt der globalen Verbindlichkeit, die zur Identitätsfindung der Menschen regional und national eingelöst wird.

Die Technik ist und bleibt ein Januskopf, aber einer, dem wir offen in die beiden Antlitze blicken, indem wir mit Hans Jonas ("Das Prinzip Verantwortung", 1979) dem Prinzip der Hoffnung das Prinzip der Verantwortung, aber nicht das Prinzip der Furcht gegenüberstellen: "Wohl aber gehört die Furcht zur Verantwortung, ebenso wie die Hoffnung." Die selbstlose Furcht, das Fürchten und Zittern, aber auch das Bewundern und Staunen sollte zum Status des modernen Menschen gehören. Die Technik hat die Reichweite des Handelns räumlich und zeitlich erhöht; um so weiter muß auch der Horizont derjenigen sein, die wissenschaftlich forschen und unsere Welt technisch gestalten.