Grundsteinlegung für die Zentrale Campusbibliothek

Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt

Begrüßungsansprache des Präsidenten der Technischen Universität München, Professor Wolfgang A. Herrmann

Freising, den 28. Juli 2000

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

in Freising scheint die Sonne, auch wenn es regnet. Willkommen Herr Staatsminister und sogleich Beifall für Sie. Für das Freisinger Land und unsere Universitätsstadt begrüße ich Herrn Landrat Pointner und Herrn Oberbürgermeister Thalhammer.

Bestenfalls künstliche Wolken über Weihenstephan, das mit ebenso vielen Professoren wie die Universität Passau auf Erneuerungskurs ist. Respekt und Verehrung den Spectabiles, Herren Dekanen; mein Willkommensgruß den Mitarbeitern und Studierenden. Wenn ich nun alle Sie namhaft machen würde, über deren Häuptern - erhaben, nachdenklich, skeptisch, erwartungsvoll - die Sonne der Wissenschaft genauso scheint wie über dem Vorsitzenden des Senats Prof. Huber, dem Präsidenten des Bayerischen Brauerbundes Dr. Ohneis und dem Generaldirektor Dr. Leskien von der Bayerischen Staatsbibliothek, da würde die Brotzeit ausfallen, ohne die kein Festakt am Bau Gültigkeit hat.

Jetzt baut er wieder, nein, nicht König Ludwig II., vielmehr unser Herr Staatsminister. Ein besonderer Gruß Ihnen, dessen Schul- und Berufslaufbahn in Freising begann. An den Ort des Geschehens treibt es stets zurück, und wir danken für Wohlwollen und Erneuerungssinn. Sie haben den Grundstein dabei, den wir heute für die Zentrale Campusbibliothek setzen, und mit ihm die Voraussetzungen, dass das akademische Weihenstephan seine Mitte bekommt. Mit Büchern, werden Sie fragen? Bücher sind doch "out", das Gutenberg-Zeitalter ist vorbei, hört man vielerorts sagen. Es lebe das weltweite Netzwerk der elektronischen Information! Internet ist "in". Netzwerke sind dezentral, wozu also noch eine Zentrale Bibliothek?

Dreifaches wird sie zu leisten haben:

Erstens: Sie ist das Zentrum der Kommunikation, was viel mehr ist als ein Haufen unsortierter Informationen, die wir uns tagtäglich über das Internet "hineinziehen".
Kommunikation heißt:
Information zu Wissen verdichten, darüber hinaus aber auch Wissen zu bewerten und zu gewichten. Daraus entsteht kontextuelles Wissen, das in der Kommunikation zwischen den Menschen zum Bildungswissen wird. Darin ist in bezug auf das Wissen der Wissenschaft der Auftrag einer Universität. So sehr elektronische Medien in die Hörsäle und Laboratorien Einzug halten und das Buch zurückdrängen, so sehr braucht der Wissenschaftler das geschriebene Wort. Kreativität kommt vielfach aus dem Zwiegespräch mit dem geschriebenen Text, aus dem Stöbern durch die Bücher- und Zeitschriftenregale, aus dem Schmökern des Wälzers, der altes Wissen zusammenfasst und zwischen seinen Zeilen neues Wissen entstehen läßt.

Das Wissen wird vorgehalten in 430 Tausend Bänden, davon Zweidrittel in Freihandaufstellung, außerdem über weltweite Katalog- und Datenbankvernetzung. Eine Glasfaserverkabelung auf höchstem Niveau gestattet nicht nur den Zugriff auf 2.500 Online-Zeitschriften, sondern ermöglicht auch Multimedia-Anwendungen. Also entsteht ein Medien- und Informationszentrum. Damit übernehmen wir den Life Science-Teil für eine künftige Technische Landesbibliothek Bayern.

Also entsteht hier, zweitens, eine Stätte der Begegnung, der Lernenden mit den Lehrenden, der Hörenden mit den Forschenden, der Wissenschaft mit der Öffentlichkeit. Die Türen sollen offen sein für alle, die dem neuen Wissen begegnen wollen, aber auch ihre Nachbarn. Mein Willkommensgruß gilt deshalb der Fachhochschule Weihenstephan, die zur Mitbenutzung unserer Zentralbibliothek auf Gegenseitigkeit eingeladen ist.

Drittens: symbolisiert diese Grunsteinlegung die Aufbruchsstimmung für das Neue Weihenstephan. Es war Glück für die Technische Universität München und diesen Standort, dass vor genau vier Jahren die ersten Überlegungen für eine bayerische Hochschulreform zusammenfielen mit dem Beginn der "Offensive Zukunft Bayern" und unserem festen Willen, Weihenstephan in die Mitte der Technischen Universität München zu holen. Dieser Wille entspringt der Erkenntnis, dass in diesem neuen Jahrhundert die Themenkomplexe Nahrung Ernährung und die Schaffung neuer Rohstoff- sowie Energieressourcen die Menschen rund um den Globus vielmehr beschäftigen werden als jeder von uns heute erahnen kann. Ob wir aus unserer Heimat heraus sinnvolle Beiträge zur Lösung dieser globalen Themen zu leisten vermögen, davon wird auch die Zukunft unseres Landes abhängen.

Zu diesem Ziel führt der Fahrplan der Wissenschaft in immer kleinere Welten hinein, nämlich in die Welt der Moleküle und in die Welt der nanostrukturierten Materie. Das betrifft die molekulare Biologie ebenso wie die Leiterbahnen der Informationstechnik, die bald nur mehr genügend Platz für Atome und Photonen brauchen. Das Nanometer und die Nanosekunde sind, ob wir wollen oder nicht, die neuen Einheiten in der Welt der Wissenschaft.

In dieser Welt muss Weihenstephan mithalten können. Dies wird gelingen, wenn wir die Molekularen Wissenschaften als Basis unserer Arbeit sehen. Wenn wir beispielsweise eine moderne Ernährungswissenschaft dadurch aufbauen, dass wir die Verbindung zur Biowissenschaft, zur Lebensmittelwissenschaft und zur Medizin herstellen. Dass wir etwas wissen wollen über die Biofunktionalität der Lebensmittel, über die molekularen Grundlagen der Sprache zwischen Pflanzen und Insekten, über die strukturabhängige Funktion der Genome im Pflanzen- und Tierreich. Im neuen Weihenstephan wird es auf die Mannschaftsleistung ankommen, und neue Spieler wird man sich zur Stammannschaft in rascher Folge dazu kaufen müssen.

Dazu haben wir vor vier Jahren in einer mutigen Strukturentscheidung die Biologie nach Weihenstephan geholt, als Leitwissenschaft. Wir haben neue Strukturen entworfen, die dem besonders interdisziplinären Ansatz eines Life and Food Sciences-Zentrums entsprechen. Seine Schlüsselvokabeln Ernährung Landnutzung Umwelt sind uns Programm. Vor diesem Hintergrund sind uns exzellente Berufungen gelungen, mit denen wir eine moderne Ernährungswissenschaft ebenso zu realisieren wagen, wie wir die Lebensmitteltechnologie erneuert haben und zum Wintersemester 2000/01 mit dem Studiengang Molekulare Biotechnologie beginnen, gemeinsam mit dem Studiengang Biochemie in Garching. Stiftungsprofessuren bleiben deshalb nicht aus. Sie helfen uns, den Modernisierungskurs so rasch in Fahrt zu bringen, wie es angesichts des nationalen wie internationalen Wettbewerbs dringlich ist.

Es ist mir heute besonders daran gelegen, Ihnen Herr Staatsminister Zehetmair, den Dank der ganzen Technischen Universität auszusprechen. Ihre Politik schafft die Rahmenbedingungen dafür, dass der Traditionsstandort Weihenstephan von seiner Hochschule in die Mitte genommen wird und so, nur so, die Zukunft besteht: Dass neue Kompetenzen vor Ort entstehen, auf den Schultern der alten, aber auch daneben, von den Alten gefördert. Wir müssen begreifen, dass der wissenschaftliche Fortschritt in den klassischen Disziplinen ermattet, an ihren Rändern aber umso lebendiger ist. Deshalb brauchen wir einander, deshalb darf Weihenstephan nicht in der Peripherie der Technischen Universität bleiben, sonst wäre es verloren.

Wenn Carl von Linde einst an der Technischen Hochschule München die Luftverflüssigung und damit die Kältetechnik erfunden hat, so kam der Bedarf an Kältetechnik zwar aus der Sedlmayr'schen Bierbrauerei, die Revolution aber bestand in der methodischen Neuartigkeit, wie man tiefe Temperaturen erschließt. 100 Jahre später lassen die Biowissenschaften aus ihrem strukturell-funktionellen Kontext revolutionäre Entwicklungen erwarten, die Proteomik steht hier ganz oben. Mit dem Ministerratsbeschluss vom 8. Juni 1999 haben Sie, Herr Staatsminister, das Wissenschaftszentrum Weihenstephan akzentuiert, nicht zuletzt durch die Integration der Forstwissenschaft. Wie sie wissen, sind die Umsetzungsmaßnahmen auf gutem Kurs.

Unser Verwaltungsrat hat ein gemeinsames, mathematisch-naturwissenschaftlich ausgerichtetes Grundstudium für das 1./2. Semester in eine Form gefasst, die wir mit Leben erfüllen. Dazu gehört obligatorisch ein allgemeinbildendes Fach, denn wir wollen unsere Studierenden auf den kulturellen Rückbezug ihrer doch im wesentlich technisch-naturwissenschaftlichen Studienfächer orientieren. Und "orientieren" kommt von "Licht", das muss ich dem Altphilologen nicht extra sagen. Dieser Geist passt zu Freising.

Mit 130 Mio. DM Investitionsvolumen für verschiedene Neubaumaßnahmen ist es uns gemeinsam bei der "Offensive Zukunft Bayern" gelungen, einen starken Fokus auf Weihenstephan zu setzen. Der ganze Regierungsbezirk Schwaben muss mit weniger auskommen. Da ist ein Wort des Dankes angesagt. Freilich investiert der Freistaat Bayern hier, weil er viel von uns erwartet. Er erwartet, dass hier die Lebenswissenschaften in vielfacher Wechselwirkung im Wissenschaftsraum München internationales Gewicht bekommen.

Die Technische Universität München hat in ihrer Strukturpolitik die Weichen so gestellt, dass der Weg in die Zukunft offen ist. Diese Zukunft beginnt heute sichtbar zu werden. Die Hochschule ist glücklich über diesen Tag.

Man ist heute in einer Stimmung wie weiland Hans Georg Asam, als er im heute nach ihm benannten Saal der Stadt Freising den Triumphwagen der Minerva an die Decke malte: Scientia fährt keck mit Volldampf über die Genusssucht (Gula), die Faulheit (Luxuria), die Sinnenfreude (Amor) hinweg. Nur eine davon sollte uns bleiben, Scientia in allen Ehren!

Verachten wir also auch das Leben nicht, wir wären sonst ja nicht in Freising unter dem Schutz des Heiligen Korbinian. Unter diesen Schutz seien heute die Handwerker gestellt, die diesen Bau errichten: Mögen sie - die vielen, deren Namen nie genannt werden - glücklich das neue Haus vollenden. Stellvertretend grüße ich Ministerialrat Naumann von der Obersten Baubehörde, Franz Friedl, den Bauunternehmer, und unseren begabten, kunstsinnigen und dennoch pragmatischen Baudirektor Ernst Baumann. Freisinger Handwerker - viele möchte ich auf der Baustelle sehen!

Die neue Aufbruchstimmung zeigt sich auch auf dem Vöttinger Gründerareal: Junge Unternehmensgründer gehen dort bald in Startposition, und die SKW Biotechnologies errichten in Jahresfrist ihr Forschungszentrum. Darauf dürfen auch wir Freisinger stolz sein, unser Entwicklungskonzept hat anderen Standorten den Rang abgelaufen. Aber auch Stiftungen sind gekommen, 11 Millionen für zwei neue Professuren in den Lebensmittelwissenschaften. Hier gilt den Stiftern unser Dank.

Anrede,
Nichts symbolisiert den neuen Weg besser als die Zentrale Campusbibliothek: Ort des Wissens und Stätte der Begegnung, Begegnung als Voraussetzung für das Gespräch. Und wenn Goethe auf Eckermanns Frage, was kostbarer als das Licht sei, geantwortet hat: Das Gespräch, dann soll dieses neue Haus dem Gespräch aus dem Wort dienen.