Fesseln sprengen, Freiheit schaffenZur Rede des Bundespräsidenten auf dem Berliner Bildungsforumvon Professor Wolfgang A. Herrmann, Präsident der Technischen Universität MünchenRHEINISCHER MERKUR, 28. November 1997 "Wer die Welt mit der Hand begreift", so unser Bundespräsident, muß uns genau so viel gelten wie der scharfe Denker. Der Fokus liegt also wieder auf einem Bildungsbegriff, für den handwerkliche und theoretische Begabungen zwar ungleichartig aber gleichwertig sind, für den Pestalozzi wieder gleichberechtigt neben Humboldt steht, Kerschensteiner neben Fichte, und für den auch Bildung und Beruf zusammengehören. Roman Herzog ist einer von dieser Welt, hintersinnig aber nicht versponnen, klar in der Sprache, holzschnittartig im Bild aber durchaus mit Sinn für die feine Differenzierung. Es paßt ihm nicht, daß unser Bildungssystem kopflastig ist. Er will es wieder auf die Füße gestellt sehen. Auf den goldenen Boden, den man dem deutschen Handwerk von einst in aller Welt nachrühmt. Herzogs Monita sind keineswegs neu, aber sie gewinnen aus dem Amt und der Persönlichkeit des Bundespräsidenten jene politische Verbindlichkeit, auf die wir gewartet haben. An alle und für niemanden habe er gesprochen, so kriti-sieren die anderen. Sie sollten begreifen, daß Herzogs Rede in Wahrheit eine Mut- und Respektrede für die Deutschen war, eine Vertrauensrede in die Erneuerungsfähigkeit unseres Bildungswesens in einer Welt, die in einer dramatischen Veränderung begriffen ist - mit oder ohne uns. Auch ist diese Welt im Begriffe neu verteilt zu werden. So gesehen kommt die Rede zur rechten Zeit. Seit Georg Picht am 31. Januar 1964 in Christ und Welt aus einer idealistischen Haltung heraus die deutsche Bildungskatastrophe prognostiziert hat, erfahren wir eine Koordinatenverschiebung unseres Bildungswesens zur Kopflastigkeit. Fachhochschulen heutiger Prägung gab es damals noch nicht, und deshalb mußten die Universitäten einen rasch zunehmenden Strom Studierender aufnehmen, um den tatsächlichen und vermeintlichen Fehlbestand an Hoch-schulbildung auszugleichen. Allmählich erfolgte eine Abkoppelung der Berufs-welt von der Bildung, die Lehrinhalte wurden umfangreicher, die Studienzeiten länger. Länger aber auch infolge überbelasteter Universitäten, deren Personal den größer und differenzierter werdenden Lehrverpflichtungen nicht mehr nach-kommen konnte, wollte man wissenschaftlich am Ball bleiben. In den zwanzig Jahren seit 1977 mußten die Universitäten einen Zuwachs von 80 % an Stu-denten verkraften, während das wissenschaftliche Personal lediglich um 10 % -15 % zunahm. Dies hat - allerdings recht länderspezifisch und abhängig von den Studiengängen - zu Situationen geführt, die der Rückbesinnung auf die Hum-boldtsche Idee keinen Raum ließ. Kommt hinzu, daß die Verfassungsrechts-sprechung das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 GG) faktisch über jenes der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) stellte und somit den Funktions-schutz der Universitäten - notwendig zur Erfüllung der Aufgaben - nicht mehr garantierte. Kommt ferner hinzu, daß die gutgemeinte Gruppen- und Gremien-universität die vielgescholtene Ordinarienuniversität nicht hinreichend zu ersetzen vermochte, im Gegenteil: Sie hat es mitnichten geschafft, die fort-gesetzte Instrumentalisierung der Universitäten durch eine Politik abzuwenden, die sich stets auf die Verbindlichkeit der Rechtssprechung berufen konnte. Eine Politik aber auch, die getragen war von der Gleichheitschimäre, der zufolge ungleichartige Begabungen gleichartig statt gleichwertig sind. So fremd unserer Gesellschaft der Elitegedanke war, so trieb sie ihre jungen Menschen in die Universitäten - ganz im sicheren Gefühl, daß Massenhaftigkeit Eliten schon nicht hervorbringen würde. Wer an der Universität auszubilden ist, bestimmen heute die Verwaltungsgerichte, weniger die akademischen Lehrer. Was muß unser Bildungssystem morgen leisten? Wo ist Erneuerungsbedarf?1. Das Bildungssystem muß in seiner Differenzierung genutzt und durchlässiger werden. Wie nirgends in der Welt haben wir ein nach Neigungen und Begabungen differenziertes Bildungssystem. Wir nutzen es aber nicht hinreichend. Die Begabungen unserer jungen Menschen - als "natürliche Verteilungen" auf einer Gauß-Kurve - werden auf dieses Bildungssystem nicht kongruent abgebildet. Blanke Zahlen belegen dies: 1,3 Mio. Uni-Studenten, 550 Tsd. FH-Studenten, Fach- und Berufsakademien fallen nicht ins Gewicht. Um so schlimmer, daß das System nicht hinreichend durchlässig ist. Weil man gerne zur Hierarchisierung neigt, gelten Fachhochschulen den Universitäten gegenüber als minderwertig, wozu freilich das ständige Aufbegehren der Fachhochschulen nach mehr Wissenschaftlichkeit seinen Beitrag ebenso leistet wie die unterschiedlichen Eingangsbesoldungen der FH- und Uni-Absolventen im öffentlichen Dienst. Im Schulbereich hat die Gewichtsverschiebung zugunsten der Gymnasien zwangsläufig und regional unterschiedlich zu deren Niveauverlust beigetragen, aber auch dazu, daß die Hauptschulen mittlerweile zu Abstellgleisen für die Vergessenen zu verkommen drohen. Hier ist im übrigen ein bisher nicht erkannter gesellschaftlicher Zündstoff. Die berufliche Bildung hat Verstärkungsbedarf. Was die Hochschulen betrifft, so ist das heikle Thema der Fächerverteilung und -differenzierung bei den Universitäten und Fachhochschulen jetzt endlich pragmatisch anzupacken. Eine Reihe klassischer Uni-Studiengänge sind, wo irgend möglich, bedarfsgerecht zu reformieren und ganz oder teilweise an den Fachhochschulen zu etablieren. Das Schlüsselkriterium muß dabei die Wissenschaftlichkeit der Ausbildung sein. So plädieren Spiros Simitas und Michael Stolleis, zwei renommierte Rechtswissenschaftler, aus gut nachvollziehbaren Gründen für eine zielgruppenorientierte FH-Ausbildung - eben für das Erlernen eines respektablen "Rechtshandwerks", das die Praxis doch vorrangig braucht. (Was tun die Repetitoren seit eh und je gegen - nie angefochtene - "Studiengebühren" denn anderes als kompaktes "Verfügungswissen" zu vermitteln?) Ähnlich kann man auch für ganze Studienfächer argumentieren, z.B. das Grund- und Realschullehramt, und für einige medizinische sowie pharmazeutische Fachrichtungen. Das große Thema der "public health", bisher versäumt, wäre ein Beispiel für strukturierte Gemeinschaftsaktionen quer durch unser Bildungssystem! Wir müssen wieder den Respekt vor der Begabungsvielfalt der Menschen finden. Die handwerklich-schulische Ausbildung muß gleichrangig neben dem wissenschaftlich-akademischen Abschluß stehen. Nur dann wird es gelingen, die Begabungsreserven der jungen Generation zu aktivieren und dabei Eliten in allen Bereichen der menschlichen Begabung entstehen zu lassen, wohlver-standen als Summe aus Leistungs- und Verantwortungsfähigkeit. 2. Das deutsche Gymnasium muß Ausbildungsstätte für Bildung bleiben. Eine komplexer werdende Welt braucht den ordnenden Geist. Erst dann zahlt sich Spezialistentum aus, das bei aller Wichtigkeit doch häufig cura posterior bleibt. Das preußische Abitur des Jahres 1812 ist als bundesweit festgeschriebener Interventionspunkt des Bildungswesen nicht zu halten. Kulturförderalistische Kräfte lassen das gar nicht zu, mögen sich die Kultusminister noch so anstren-gen. Schon deshalb ist klar, daß die Hochschulen an der Auswahl ihrer Studenten zu beteiligen sind, ganz abgesehen davon, daß Wettbewerb schlicht-weg mit Auswahl beginnt. Dann wird der Markt entscheiden, ob es dabei bleibt, daß in Brandenburg 36 % eines Altersjahrgangs durch das Abitur kommen, in Bayern nur 17 %. Es ist ja nicht a priori anzunehmen, daß die bayerischen Landsleute doppelt so blöd sind (oder halb so gescheit)? Die Hochschulen müßten es sein, die das Niveau des Eingangszertifikats definieren, wobei man sich freilich auf den "Indikatorsatz" der fünf Abiturfächer Deutsch, Geschichte, Mathematik, (eine) Naturwissenschaft und (eine) Fremdsprache gut einigen könnte und in dieser Form das Schul-Leistungszeugnis als Hochschul-Befähigungsnachweis anerkennen würde. An meiner Universität wären damit die 80 % der aus bayerischen Schulen kommenden Studenten erfaßt, die anderen würden sich teilweise, je nach Herkunft und Fachrichtung, einer zusätzlichen Prüfung unterziehen, in welcher Form auch immer. Nur so, nicht aber durch kultusministerielle Rechenexempel und Kompromißformeln würde das Eingangsniveau selbstregulierend ansteigen und zur Wettbewerbskomponente im Bildungswesen aufsteigen. Leitlinie der Gymnasialbildung sollte die Persönlichkeitsbildung sein. Verfrühtes Spezialistentum ist selbst in technischen Disziplinen nicht erforderlich. Gleichzeitig wird das Gymnasium neben der Vorbereitung auf ein Hochschulstudium zunehmend für das praktische Leben ertüchtigen müssen. Aktuell nehmen nämlich nur mehr 76 % der deutschen Abiturienten ein Hochschulstudium auf, die übrigen gehen unmittelbar in die Berufspraxis. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Mehr als früher wird das Gymnasium zur unmittelbaren Schule fürs Leben, ein Leben kultureller und wirtschaftlicher Internationalität. Das Thema der Schulzeit - 12 vs. 13 Jahre - sollte unter solchen Gesichtspunkten entideologisiert werden. Es ist nicht das Kernthema der Bildungspolitik. 3. Das deutsche Bildungssystem, namentlich die Universität, braucht den Wettbewerb. Der Wettbewerbsgedanke würde zuallererst den Universitäten zugute kommen, denn sie stehen aufgrund ihrer Doppelfunktion in Forschung und Lehre in besonderer Weise unter internationalem Leistungsdruck. Globalisierung bedeutet ja Öffnung der Märkte für Ideen und Innovationen im Dienstleistungs- und Produktbereich über die Schranken der angestammten Wirtschaftsräume hinweg. Der Wettbewerb ist gnadenlos geworden. Wir werden ihn als kleines Land langfristig nur bestehen, wenn wir uns die besten Universitäten mit Studenten leisten, die einen breiten Bildungshorizont mitbringen. Die leistungsfähigste Antriebsturbine made in Germany (hoffentlich) bringen wir in Asien und anderen Aufbruchsregionen der Welt nur dann an den Mann, wenn wir zusätzlich zur technischen Exzellenz ein kulturelles Resonanzempfinden für fremde Heimaten mitbringen. So gesehen ist unser Bildungswesen der Exportfaktor mit der größten Nachhaltigkeit. Unsere Leistungskraft in der Wissenschaft ist schon heute vom Wettbewerbs-gedanken geprägt. Es ist deshalb nicht schwer, eine Rangliste der deutschen Chemiker, Physiker oder Wirtschaftswissenschaftler innerhalb ihrer Fachdisziplinen aufzustellen. Inoffiziell gibt es diese Listen. Was die Hochschulen jedoch nicht herausgebildet haben, sind spezifische korporative Profiltiefen in Forschung und Lehre. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ein gewichtiger Grund liegt in der Vorstellung, daß alle Universitäten eine möglichst gleichwertige, da staatlich garantierte Ausbildung leisten sollen. Es ist unter anderem auf diese fehlende Differenzierung zurückzuführen, warum die Bevölkerung, ja selbst die Studenten sich so wenig mit ihren Universitäten identifizieren. Die Landschaft erscheint harmonisch unauffällig. Der Mensch will aber Gipfel und Täler sehen, um sich zu orientieren. Die deutsche Universität hat keine "corporate identity", dafür ist die Empfängermentalität allerorten recht ausgeprägt. Mit den Spielregeln einer kameralistischen Staatsanstalt kommen wir Universitäten hier nicht weiter. Wir brauchen den körperschaftlichen Handlungsspielraum, verbunden mit allen resultierenden Pflichten. Nur so kann Autonomie entstehen, die mehr ist als die Summe individueller Rechte aus dem vielzitierten Art.5 Abs. 3 GG. 4. Das deutsche Bildungswesen bedarf der Internationalisierung. Die deutschen Universitäten, zunehmend wohl auch die Fachhochschulen, müssen die entstehenden "Bildungsmärkte" im Ausland erschließen. Das Beispiel Indonesien genügt, um auf Versäumnisse zu zeigen: Mit 200 Mio. Menschen die viertgrößte Nation der Erde, entsendet Indonesien jeweils 17.000 Studenten in die USA und, neuerdings, nach Australien. Gegen eine ansehnliche Kostenbeteiligung werden dort die jungen Indonesier nicht nur wissenschaftlich ausgebildet, sondern auch zu den besten Botschaftern dieser Länder. Deutschland hingegen ist nach einer erfolgreichen Auftaktphase (ohne viel eigenes Zutun, nämlich nach dem Weggang der Niederländer im Jahre 1945) auf gerade 1.200 indonesische Studenten heruntergekommen, obwohl im Regierungskabinett in Jakarta vier Minister deutsche Ingenieursdiplome haben. Erheblichen Nachholbedarf haben wir auch in anderen Erdteilen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst und die Alexander von Humboldt-Stiftung sind einsame Leuchttürme, unterstützt durch eine Reihe weiterer Stiftungen. Obwohl deutsche Institute und Laboratorien für Forscher aus aller Herren Länder attraktiv sind, so fehlen uns die ausländischen Studenten. Ein Anteil von derzeit 4 % ist skandalös niedrig, fordert die Hochschulen zur Internationalisierung ihrer Studiengänge auf und die Politik zur Revision der Randbedingungen, allen voran des Ausländerrechts. Dabei verlangt keiner etwas kostenlos zu bekommen: Die Wertschätzung einer deutschen Hochschulausbildung wird sich in einer bereitwilligen Kostenbeteiligung niederschlagen, wenn wir unseren deutschen Dünkel ablegen und Ausbildung professionell als Dienstleistung verkaufen, und zwar im kompletten "package inklusive Wohnplatz, Sprachausbildung und Krankenversicherung. Ich kann mir gut vorstellen, daß die Technische Universität München dieses Angebot alsbald in einer eigenen Gesellschaft leistet, denn die staatliche Kameralistik ist und bleibt per definitionem zu eng für die moderne Welt. Es ist eine Fehler zu glauben, daß Unentgeltlichkeit Leistungen attraktiv macht. Besser eine erstklassige Ausbildung mit durchkalkulierter Kostenbeteiligung als Zweitklassigkeit umsonst! Auch für Bildungsangebote gelten die Regeln des Marktes mehr als die hehren Sprüche des Egalitarismus. Ausländer müssen aber auch das Gefühl haben, daß wir ihnen Ausbildungsleistungen gerne verkaufen. Das setzt Wertschätzung für unsere Gäste voraus! 5. Leistungen in Lehre und Forschung sind näherungsweise saldierbar. Wissenschaftliche Leistung ist bei Berücksichtigung fächerkultureller Eigenheiten meßbar. Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft weiß man das schon lange, an den Universitäten beginnt sich die leistungsbezogene Mittelallokation in der Forschung durchzusetzen, ebenso die belastungsbezogene Honorierung der Unterrichtsleistung. Oft auf Jahrzehnte verbürgte "Berufungszusagen" in der Personal- und Sachmittelausstattung sind nicht zeitgemäß, zumal sie eine lebendige Hochschulentwicklung von innen heraus behindern. Amerikanische Spitzenuniversitäten sind nicht etwa deshalb so gut, weil sie die Besten mit einer üppigen Ausstattungsgarantie verzieren. Garantiert werden vielmehr "opportunities", nämlich die beständige Möglichkeit, durch immer wieder nachzuweisende Leistung die besten Arbeitsmöglichkeiten zu bekommen. Dazu gehören auch die besten Studenten, und die bekommt man durch gute Betreuung, intensiven Unterricht und exzellente Wissenschaft. Ein realistisches Kostenbewußtsein hat noch keinen Forscher vor der Höchstleistung abgehalten. In der selbstverantworteten Flexibilisierung der Universitätshaushalte sehe ich einen wirkungsvollen Lösungsschritt. Unsere Universitäten sind zwar heillos unterfinanziert, schlimmer aber ist die Strukturkrise, in die wir über die Jahr(zehnt)e hineingeraten sind. Der Reparaturaufwand ist groß, aus der Massenhaftigkeit heraus aber ganz gewiß nicht zu bewältigen. Zuerst sind die Webfehler des Systems zu beseitigen. Und dafür brauchen wir eine neue Hochschulkonstitution. 6. Das Hochschulstudium ist eine Lebensinvestition. Lange bekannt, erzielt der Universitätsabsolvent ein viel höheres Lebensarbeitseinkommen als die nicht-akademischen Ausbildungsberufe. Auch riskiert er eine geringere Arbeitslosigkeit und sichert sich ein höheres Sozialprestige. So gesehen, erscheint die Finan-zierung des Hochschulstudiums ohne Kostenbeteiligung unsozial: Nach gängigem Wissen finanzieren die niedrigen Einkommen das Studium von Kindern aus Familien mit mittleren und höheren Einkommen mit. Der Nettoleistungstransfer von unten nach oben ist erheblich. Im Nebel der Gleichheitsideologie blieb unbemerkt, daß die Aktivierung der Bildungsreserven sozial schwächerer Familien mitnichten gelungen ist. Im Gegenteil: Seit 1982 ist der Studentenanteil aus Familien bis 4.000 DM Monatsgehalt (kaufkraftbereinigt) von 57 % auf heute 42 % gesunken. Im gleichen Zeitraum hat der Eigenfinan-zierungsanteil des Studiums (eigene Arbeit) von 25 % auf heute 37 % zugenommen, genau jener Relativbetrag, der auf der BAFÖG-Seite fehlt. Gerecht wird die Finanzierung des Studiums erst bei einer angemessenen Kostenbeteiligung. Hier wird zu prüfen sein, wie hoch der Staat den öffentlichen gegen den individuellen Wert des Studiums ansetzt. Eine hochschulabhängige, abgestufte Kostenbeteiligung und bedarfsgerechte Stipendien bzw. Darlehen wären ein gleichermaßen sozialer wie zielführender Weg zur individuellen Begabungs- und Leistungsförderung. Nebeneffekte sind in verkürzten, vor allem ehrlichen Studienzeiten, Zurückdrängung hinderlicher Erwerbstätigkeit sowie - last but not least - Förderung der Einsicht zu sehen, wonach ein Leistungsangebot auch seinen Preis hat. Wer zum Studium befähigt ist, darf daran aus finanziellen Gründen selbstverständlich nicht gehindert werden, jedoch ist die Kostenfrage legitim. Die Universität selbst könnte hier zur Solidargemeinschaft werden. Stanford bezahlt mehr als 60 % seiner Studierenden die Gebühren, als Teil des "financial agreement", das es für jeden einzelnen gibt. Aber vom "Fremdsystem Amerika" darf man hierzulande in Fragen der Bildungsstrukturen ja nicht sprechen. Denn viele haben sich im heimischen System recht wohnlich eingerichtet. Jedoch ist der Blick nach gestern auch hier unser größtes Risiko. Und die deutsche Universität, wo soll sie morgen stehen? Die Universität lebt aus der unverwechselbaren Idee der wissenschaftsgeleiteten Lehre, und aus deren Freiheit. Diese Idee hat uns im letzten Jahrhundert nicht nur in eine wissenschaftlich-technische Spitzenstellung gebracht, sie war auch unser erfolgreichster (kultureller) Exportschlager noch ehe wir, wie heute, die zweitgrößte Exportnation der Welt wurden. Die Humboldtsche Idee ist durch keine bessere ersetzt, und sie hat in den Nischen der Massenuniversität überlebt, getragen von Professoren und Mitarbeitern, die ihr Dasein nicht als Job sondern als Lebensentwurf sehen. Die Aufgabe der Universität ist die Ausbildung junger Menschen am wissenschaftlichen Gegenstand, möglichst an der Spitze der Wissenschaftsentwicklung. So einfach ist das, und so schwierig zugleich in der Umsetzung. Die wissenschaftliche Fortbildung und noch ein paar weitere Aufgaben kommen in einer veränderten Welt mit ihrem rapiden Wissensfortschritt hinzu. Leistbar ist dieser Auftrag nur, wenn die Universität jene Studenten bekommt, die dieses Profil wollen, die wissenschaftlich lernen und wenigstens einmal ein tiefes wissenschaftliches Loch bohren wollen. Das ist gemeint, wenn ich von begabungs- und interessenskongruenter Ausbildung spreche. Nicht mehr und nicht weniger. Wer das nicht begreift, ruiniert die deutsche Universität. Dafür muß man demonstrieren, dann demonstriert man für und nicht gegen unsere Zukunft! Bildung anzubieten heißt Unterschiede zuzulassen. Bildung aber gebietet Respekt vor dem Unterschied. Wir werden unsere Zukunft nicht erfinden, wenn einerseits die Träger des Bildungswesens ihre Wagenburgmentalität nicht aufgeben und wenn andererseits die Politik den Aufruf des Bundespräsidenten nicht beherzigt: "Entlassen wir unser Bildungssystem in die Freiheit!" |