TUM-Logo Aufmacher
Kontakt Veranstaltungen Presse Reden & Publikationen Jobbörse Recht Intern
Begrüßung Semester-Grußwort Abiturientenbrief Dies Academicus Weitere ...
Home Infocenter News Univis Search Quicksearch-Text
 

Kreativität heißt die Reformidee

Von Wolfgang A. Herrmann,
Präsident der Technischen Universität München

Die Schulpolitik denkt vielerorts nach Schularten. Danach richten sich leider auch die meisten Reformansätze. Vorrangig ist zur Zeit die gymnasiale Oberstufe auf dem Prüfstand.

Eine Oberstufenreform, womöglich beschränkt auf Korrekturen an den Stundentafeln, genügt jedoch zur Vitalisierung der vielfältigen Begabungspotenziale unserer Jugend nicht. Auch kann die Antwort auf TIMMS und PISA nicht in mehr Physik und weniger Musik bestehen - im Gegenteil: Kreativität zu fördern ist der pädagogische Auftrag, aus dem sich eine Schulreform ableiten muss. Das große Ziel ist die Heranbildung stabiler Persönlichkeiten, die in der Gesellschaft handlungsfähig sind - Pestalozzi, Humboldt und Kerschensteiner lassen gemeinsam grüßen! Denn Bildung ist kein Selbstzweck, Bildung und Beruf gehören zusammen. Um hieran mitzuwirken, brauchen die Hochschulen keine Frühspezialisten und Eigenbrötler, sondern begeisterungsfähige, motivierte, weltoffene Studenten, die über die "Welt der Zahlen und Figuren" (Novalis) hinaus zu denken gelernt haben. Geborgenheit, Vertrauen und Wertschätzung sind wichtiger als Notendrill, so wichtig das "Lernen zu lernen" immer bleiben wird. Die "Arbeitsschule" des Münchner Pädagogen Kerschensteiner verstand sich als "Pforte zur Menschenbildung". So müssen wir die Schule wieder sehen. Die Schularten einschließlich der Hochschulen können nur gemeinsam gedacht werden.

Vor diesem Hintergrund wiegt es schwer, dass immer weniger Elternhäuser die pädagogische Arbeit unserer Lehrer stützen und ergänzen. In dieser suboptimalen Lage wird Schule noch wichtiger, muss der Schultag länger, die Betreuung umfassender werden. Das läuft auf eine Veränderung der Schul- und Unterrichtsstrukturen hinaus. Allerdings lautet die Gretchenfrage nicht 12 oder 13 Schuljahre, sie betrifft vielmehr die Lehr- und Lernmethoden ab Ende der Grundschule, und zwar in allen Schularten. Beispielsweise dominiert im klassischen System die Kopfarbeit als Zugang zu praktisch allen Wissensgebieten. Wichtig wäre die Förderung des altersspezifischen emotionalen Bezugs, gerade mit Blick auf die Naturwissenschaften. Ein typisches Beispiel ist die Chemie. Schulpädagogische Studien lehren, dass es die 8 - 10Jährigen sind, die eine emotionale Aufgeschlossenheit zur Welt der Stoffe haben. So könnte aus einem quälenden "Horrorfach" ein Begeisterungsfach werden. Der Schulunterricht braucht mehr Lebensweltbezug.

Aber auch mehr Lehrer werden wir brauchen, und zwar zuallererst Pädagogen, weniger die Fachwissenschaftler. Hier steht ein Paradigmenwechsel der Lehrerbildung an. Gefordert sind die Hochschulen. Dort firmiert nämlich die Lehrerbildung zumeist als fünftes Rad am Wagen der Fachwissenschaften. Auch kann keine Reform gelingen, ohne dass die Lehrerfortbildung erheblich verbessert wird, in Zusammenarbeit mit den Hochschulen und der Wirtschaft.

Man mag über "die faulen Lehrer" noch so sehr schimpfen: Zielführend wäre eine Wiederherstellung der Wertschätzung für einen Beruf, dem es unsere Gesellschaft sehr schwer macht. Enorme Frühpensionierungsquoten zeigen, dass der Lehrer durch regelmäßige Fort- und Weiterbildung Zeit zum Auftanken bekommt. Das ist nicht nur human und ein Gebot moderner Personalentwicklung, sondern auch volkswirtschaftlich vernünftig. Davon hat die Schulpolitik bisher wenig gehört.

Was die Arbeit der Schulen betrifft, so muss ihnen der Staat zwar strenge Mindeststandards vorgeben, ihnen aber auch mehr Gestaltungsfreiräume zubilligen.

Wenn auch Bildungspolitik keine Patentrezepte hat: Eine nachhaltige Reform umfasst alle Schularten strukturell, den Unterricht inhaltlich, die Lehrerbildung in ihrer Grundphilosophie, die Lehrerfortbildung als Desiderat. Selbst dann ist Bildungspolitik ohne Familienpolitik nicht zu denken. Jedenfalls ist eine Bildungsoffensive die beste Investition in die Zukunft unseres Landes. Ein Bildungsnotstand liefe auch auf wirtschaftlichen Notstand hinaus, von der Nachhaltigkeit des kulturellen Schadens ganz abgesehen.

 webmaster@tum.de (29.05.2002)
   [ Studium  | Infocenter  | Forschung  | Einrichtungen  | Menschen  | News  | Campus ]   
Top ]