Wissentlich ins neue Jahrtausend

Wirtschaft, Lehre und Politik machen München zur "Wissenschaftshauptstadt"

Von Professor Wolfgang A. Herrmann, Präsident der Technischen Universität München

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. September 1998

München gilt als "Wissenschaftshauptstadt Deutschlands". Diesen Ruf begründete Mitte des 19. Jahrhunderts die weitsichtige Berufungspolitik des kunst- und wissenschaftsbeflissenen Königs Max II., der die gescheiten "Nordlichter" nach München holte. Verfestigt hat sich dieser Ruf in den letzten Jahrzehnten mit der Modernisierung der beiden Münchener Landesuniversitäten Technische Universität (TU) sowie Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), der Begründung einer großen Zahl Max-Planck-Institute und dem Ausbau der vielen kleineren Hochschulen, zu denen die Staatliche Hochschule für Musik zählt. Kaum ein akademisches Fach, das die rund 100 000 Studenten in München nicht studieren könnten, vom "Orchideenfach" Restaurierung und Konservierungswissenschaften (TU) bis zum "Massenfach" der Rechtswissenschaften (LMU).

Eine beherzte, wahrlich einzigartige Entwicklungspolitik für die Wissenschaften durch die Bayerische Staatsregierung rüstet für eine Zukunft, die dem immer härter werdenden internationalen Wettbewerb standzuhalten hat: beginnend mit einem biomedizinischen Zentrum der LMU in Martinsried-Großhadern im Süden Münchens, über den naturwissenschaftlich-technischen Campus in Garching und das Life-Sciences-Zentrum Freising-Weihenstephan der TU München im Norden der Landeshauptstadt, schreitet das wissenschaftliche "Isar-Valley" in Siebenmeilenstiefeln voran. Existenzgründungen sind nicht mehr dem Zufall überlassen, sondern werden durch staatlich geförderte Businessplan-Wettbewerbe unterstützt. München ist die größte Venture-Capital-Stadt Deutschlands. Verständlich deshalb, daß der Freistaat Bayern soeben eine Partnerschaft mit Kalifornien geschlossen hat, wo sich ebenfalls Wissenschaft und Wirtschaft auf zahlreichen Gebieten begegnen und junge Gründerexistenzen mit dem Mut zum Risiko hervorbringen.

Der vielerorts favoritisierte Entwicklungsschwerpunkt Biotechnologie hat in München schon deshalb seinen besonderen Reiz, weil das Spektrum von der Biomedizin bis zu den Life Sciences in der Pflanzen- und Tierwissenschaft reicht. Weitere Schwerpunkte wie die neuen Werkstoffe leben aus der Wechselwirkung zwischen den Naturwissenschaften und dem in München traditionell starken Ingenieurwesen. Daß große Automobilunternehmen wie BMW, Audi und MAN vor Ort sind, ist ein Vorteil für die Praxisnähe der universitären Grundlagenforschung. Kooperationen bestehen aber auch mit den zahlreichen kleinen Spezialunternehmen der Zulieferindustrie. An der TU beginnt sich ein Medizintechnik-Schwerpunkt im Therapiebereich herauszubilden, der sich insbesondere mit Neuen Werkstoffen, miniaturisierten Operationsgeräten und ingenieurtechnischen Fragestellungen in der Medizin befassen wird. Deshalb setzt die Hochschule neben der disziplinären Exzellenz vor allem auf Schnittstelleneffizienz zwischen Naturwissenschaft, Ingenieurwissenschaft und Medizin.

Vergessen wird oft, daß München auch im akademischen Bereich eine Sportstadt ist: 1500 Studenten werden auf dem Hochschulsportgelände der TU zu Sportlehrern ausgebildet, und weitere 15 000 Studenten nehmen das Freizeitsportangebot der Hochschule wahr.

Möglich ist diese in den letzten Jahren rasante Entwicklung durch eine Investitionspolitik des Freistaates Bayern, der aus Privatisierungserlösen mehrere Milliarden Mark in den Ausbau seiner Schulen und Hochschulen steckt. Was die Münchner Universitäten betrifft, so sind hier das Gen-Zentrum und die LMU-Fakultät für Chemie zu nennen (Großhadern), die TU-Fakultät für Maschinenwesen sowie die Neue Forschungs-Neutronenquelle FRM-II (Garching). Daß geistes- und kulturwissenschaftliche Einrichtungen nicht zu kurz kommen, zeigen der Neubau des Historikerzentrums der LMU sowie die Pinakothek der Moderne im Herzens Münchens.