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Berufsbildung: Pforte zur Menschenbildung

 

Begrüßungsansprache des Präsidenten der TU München zur Eröffnung der Ausstellung "Berufliche Bildung in Bayern" am 24. Oktober 2001

Wer die Welt mit der Hand begreift, so sagte der frühere Bundespräsident Roman Herzog - Mitglied des Hochschulrats unserer Universität - in seiner "Berliner Bildungsrede", der müsse genau so viel gelten wie der reine Kopfarbeiter. Handwerk und Wissenschaft gehören aber zusammen. Kerschensteiner muss neben Humboldt stehen, nicht unter ihm. Die Münchner Wirkungsstätte des Bildungsreformers Kerschensteiner ist der örtliche Bezug zur heutigen Ausstellung. Berufsbildung sei die "Pforte zur Menschenbildung" - so kann man das großartige Reformwerk Kerschensteiners Zusammenfassen. Es ist auch das Motto meiner heutigen Begrüßungsansprache.

  1. Die Technische Universität München hat seit ihrer Begründung als "Polytechnische Schule" im Jahre 1868 den Weg Bayerns vom Agrarland zum Hochtechnologie-Standort begleitet. Das Geheimnis unseres Erfolgs hat viele Komponenten: Kompetenz im Spezialfach, Sprechfähigkeit in den Nachbardisziplinen, Teamgeist über Fächer- und Fakultätsgrenzen hinaus, Kooperationsfähigkeit mit der beruflichen Praxis in Betrieben und Schulen. Gleichgewicht zwischen akademischer Abgehobenheit, Lebenswirklichkeit und orientierungsgebender Bodenhaftigkeit, Geniales und Normales, Elfenbeinturm und Werkbank, Wissenschaft und Handwerk, Hörsaal und Laboratorium, aber auch Weihenstephaner Bier - alles das ist die Technische Universität München.

    In der Wissenschaft wollen wir an der Spitze sein, um die Qualität des menschlichen Daseins zu verbessern und gleichzeitig die Umwelt, aus der wir schöpfen, zu schützen. Wir wollen aber damit auch attraktiv für die junge Generation sein, die wir mit bester wissenschaftlich-technischer Kompetenz, in der Lehrerbildung zudem mit pädagogischen Fähigkeiten ausstatten. Diese Jugend steht im Mittelpunkt unserer Universität, in Forschung und nicht zuletzt in der Lehre. Das zeigt auch diese Ausstellung.

  2. Bildung und Beruf gehören zusammen. Bildungspolitik hat die Aufgabe, die Begabungen der jungen Menschen in ihrer Differenziertheit zu fördern. Neben der Stärkung und Modernisierung des dualen Ausbildungswesens, das den handwerklichen und akademischen Begabungen gleichermaßen ihre Berechtigung gibt, bestehen im Zeitalter der Globalisierung von Wirtschaftsmärkten besondere Herausforderungen an das Bildungswesen:

    1. Grundlage des Bildungswesens muß eine Wertorientierung sein, die über die unverzichtbare Leistungsorientierung hinausgreift. Der Sinn für Gemeinschaftsleistung im Team, aber mit individuell taxierbarer Einzelleistung entspricht nicht nur dem Bedarf moderner Berufsbilder, sondern fördert auch die gesellschaftliche Kultur eines Hochtechnologielandes.

    2. Besonders der Lehrerberuf sollte aus unserer Sicht im Fokus des gesellschaftlichen Lebens stehen. Dies gilt nicht nur für die Pädagogen der Grund- und Hauptschule, die für immer weniger intakte Elternhäuser die erzieherischen Pflichten wahrnehmen sollen. Auch die Pädagogen der Realschule und des Gymnasiums werden neben ihrem fachlichen Können immer stärker als Erzieher gefordert. Die Pädagogen der beruflichen Schulen werden zudem vom schnellen technischen Wandel, von erhöhten berufstheoretischen Anforderungen und von immer kürzeren Zyklen der Modernisierung der schulischen Ausstattung bedrängt. Das zeigt diese Ausstellung.

  3. Verstehen und Gestalten von Situationen in der beruflichen Bildung sind originär pädagogische Aufgaben, die jedoch einer sachlich-fachlichen Fundierung in Bezug auf die Berufsaufgaben bedarf, die jeweils Gegenstand beruflichen Lebens werden. Welcher Stellenwert in dieser Verbindung von beruflich-fachlicher mit pädagogisch-didaktischer Kompetenz jeder dieser beiden Komponenten jeweils beizumessen sei, dazu hat es in der Lehrerausbildung unterschiedliche Vorstellungen gegeben.

    Die Lehrerbildung, vor allem für naturwissenschaftliche und technische Fächer muß sich einer permanenten Modernisierung und Flexibilisierung anpassen. Neue Technologien, Informations- und Kommunikationstechniken, wirtschaftliche Umstrukturierungen, Wettbewerbs- und Kundenorientierung, aber auch Aspekte der Globalisierung und internationalen Verwendbarkeit zwingen zu einer ständigen Verbesserung der Qualität der Lehrerbildung. Die Ausbildung zum Lehramt an beruflichen Schulen im gewerblich-technischen Bereich fand für Bayern grundsätzlich in München statt, bis 1964 am Berufspädagogischen Institut in der Lothstraße 17, ab dem WS 64/65 an der Technischen Hochschule. In ihrem Hochschulentwicklungsplan 2000 hat sich die TU München dazu bekannt, gerade die Lehrerbildung an beruflichen Schulen ständig zu verbessern und zu erweitern. Dies geschieht zur Zeit mit der Einführung der beruflichen Zweitfächer Telematik und Mechatronik, die auf die neuen Ausbildungsberufe ausgerichtet sind, und des beruflichen Erstfaches Gesundheits- und Pflegewissenschaft seit dem WS 99/00.

  4. Bereits im Jahre 1972 sagte der damalige bayerische Kultusminister Hans Maier: "Die gesicherte Zukunft eines Landes oder einer Gesellschaft hängt nicht nur davon ab, daß ausreichend Nachwuchs an Akademikern vorhanden ist; ein soziales Gleichgewicht kann es nur geben, wenn das Verhältnis zwischen Abiturienten und Akademikern einerseits und den Facharbeitern, Meistern, Technikern, Kaufleten, Landwirten, Krankenschwestern usw. andererseits vom Bedarf her gesehen im ganzen ausgewogen ist".

    Um die berufliche Bildung stärker an der TU München zu verankern, habe ich mich, kurz nach meinem Dienstantritt als Präsident der TU München im Jahre 1995, für die Verstärkung der Lehrlingsausbildung an unserer Hochschule eingesetzt. Mittlerweile gibt es ca. 150 Ausbildungsplätze an der TU München. Der Schwerpunkt ist Weihenstephan, wo wir der größte "Ausbildungsbetrieb" im Landkreis Freising sind, deutlich vor dem Flughafen. Aber auch in modernen Informationstechnologien haben wir mit dem neuen Fachinformatiker" eine nichtakademische Berufsausbildung an der Fakultät für Informatik eingerichtet.

    Wir sind der Auffassung, daß eine moderne Technische Universität die Kompetenz und Ausstattung, z. B. Laboratorien und Werkstätten, auch für die Ausbildung in einschlägigen nichtakademischen Berufsfeldern bereitstellen muß. Das ist eine gesellschaftliche Verantwortung, steht aber auch im eigenen Interesse. Den besten Absolventen bieten wir selbst Arbeitsplätze an.

    Für eine weitere Effizienzverbesserung steht nunmehr die Gründung eines auch über die Hochschule hinaus operierenden "Berufsausbildungszentrums" an einer Universität an. Die Hochschulleitung wird diese Maßnahme am 30.10.2001 beschließen. Wir werden damit bundesweit ein Signal setzen und die Überzeugung vorleben, daß in den technisch-naturwissenschaftlichen Fächern die wissenschaftliche und handwerkliche Ausbildung zusammengehören. Inzwischen haben Schüler der Berufsschule für Industrie und Handwerk in Bozen ein dreiwöchiges Praktikum im Bereich Qualitätssicherung von Lebensmitteln am TUM-Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt absolviert. Unter Aufsicht des Leiters der Berufsausbildung am Wissenschaftszentrum sammelten sie an den Lehrstühlen Allgemeine Lebensmitteltechnologie und Technologie der Brauerei, der staatlichen brautechnischen Prüf- und Versuchsanstalt sowie an der Landesanstalt für Bodenkultur und Pflanzenbau praktische Erfahrungen mit der chemischen Analytik. Ein Austausch im Gegenzug ist geplant.

    Nach Einrichtung des Berufsausbildungszentrums kann die Institutionalisierung entsprechender Praktika insbesondere mit beruflichen Schulen der Stadt München und den staatlichen Berufsschulen der näheren Umgebung ins Auge gefaßt werden.

    Die TU München ist der logische Standort, denn schließlich haben wir nicht nur das gesamte Sortiment der Technikfächer, sondern auch die gewerblich-technische Ausbildung für das Lehramt an beruflichen Schulen. Letztere nimmt wegen des steigenden Bedarfs an Bedeutung zu. Das zeigt diese Ausstellung.

  5. In bildungspolitischen und berufspädagogischen Diskussionen wird vielfach Wilhelm von Humboldt und der Neuhumanismus dafür verantwortlich gemacht, daß die Ansätze eines beruflichen Schulwesens im 18. und früher 19. Jahrhundert nicht für die Konstituierung einer Pflichtberufsschule zum Tragen kommen konnten. Humboldts Idee vom Menschen wurde zur Grundlage eines neuen Bildungsverständnisses, das nicht die praktische Fähigkeit zur Ausübung einer nützlichen Tätigkeit als erstrebtes Ziel der Bildung sah, Bildung sollte vielmehr Geist und Seele des Menschen formen, um die Welt zu erfassen und den eigenen Geist zu vervollkommnen. Berufliche Bildung hatte es gegenüber diesen weiten und großzügig angelegten Zielen schwer, sich zu behaupten, weil sie schon immer bis zu einem gewissen Grad unter dem Diktat des Zweckmäßigen, Praktischen und Technischen stand. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich im Sog wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Veränderungen ein neues Denken über berufliche Bildung. Die Frage nach dem entsprechenden Bildungsziel stellte sich einerseits im Hinblick auf die durch wirtschaftliche Entwicklung notwendig gewordene technische und geistige Befähigung des zukünftigen Arbeiters in Handwerk und Industrie, andererseits ging es um eine "von Humboldt erlöste "Diskussion der Berufsbildungstheorie, die in Deutschland von Georg Kerschensteiner, Aloys Fischer, Eduard Spranger, Theodor Litt u. a. geführt wurde.

    "Letztlich war", wie der frühere Kultusminister Hans Maier in einem Aufsatz schrieb, "Kerschensteiner ein Mensch der Tat. Theorie und Erkenntnis erhielten ihren Sinn erst im Handeln. Deshalb konnte er zum Begründer der Berufsschule werden und zum Antipoden Humboldts. Wo wären wir heute, fragte Hans Maier, wenn es Kerschensteiner nicht gegeben hätte? Sicher wäre unsere Pädagogik und unser Bildungswesen ärmer. Seine Ziele und die Maxime seines Handelns machen ihn zu einer Persönlichkeit, die er wohl selbst als Vorbild für den Erzieher erachtet hätte - und das Vorbild war für ihn Bedingung für erzieherisches Wirken. Deshalb muß es ein Gebot für uns sein: Lassen wir endlich Kerschensteiner neben Humboldt treten. Es ist Zeit dafür".

    Die Berufsschule ist eine Schöpfung des 20. Jahrhunderts, die berufliche Bildungskonzeption eine Errungenschaft der jüngeren Vergangenheit, die Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit des beruflichen mit dem allgemeinbildenden Schulwesen zuweilen auch heute noch eine unerfüllte Forderung. Im Freistaat Bayern scheint durch das "Gesetz über das berufliche Schulwesen" vom 15. Juni 1972 die bildungspolitische Fehlentwicklung unterbrochen, der Gegensatz zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung aufgehoben, das berufliche Schulwesen aber insbesondere die geförderte Anerkennung und Förderung gefunden zu haben. Das berufliche Schulwesen, über Jahrzehnte wenig beachtet, wurde erstmals in dem Gesetz als einheitlicher Schulbereich dargestellt. Mit ihm wurden die Voraussetzungen für die Chancengleichheit zwischen den Schülern der allgemeinbildenden und der beruflichen Schulen sowie zwischen den Schülern der ländlichen Bereiche und der Städte geschaffen. Die CSU maß im Bayerischen Landtag diesem Gesetz "eine gesellschafts- und kulturpolitische Bedeutung von besonderer Prägung in Bayern " bei und betonte, daß dieses Gesetz "die als notwendig erkannte Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit des beruflichen Schulwesens und des theoretischen, allgemeinbildenden Schulwesens herbeiführe". Das zeigt auch diese Ausstellung.

  6. Mit der Eröffnung dieser Ausstellung zur "Beruflichen Bildung in Bayern"

    • bekennt sich die Technische Universität München zum Stellenwert der beruflichen Bildung in unserer Gesellschaft und will zugleich Ort der Information, Reflexion und öffentlichen Begegnung in der Auseinandersetzung mit der beruflichen Bildung sein,

    • versucht die TUM, berufliche Bildung aus ihrem Schattendasein in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen,

    • will die TUM auf neue Bildungsschwerpunkte wie Kreativität, Innovationsfreude und Teamfähigkeit aufmerksam machen und weist auf die Bildungsaufgaben von Schule und Betrieb hin: Natur und Umwelt, friedliches Zusammenleben, Kultur und Tradition, Wort und Bild, Wertbewußtsein und Sinnfindung,

    • will die TUM die Vorarbeit zu einer landesweiten Wanderausstellung leisten, kann durch gleichzeitige Präsenz im Internet den Grundstein zu einem virtuellen Forum schaffen und nicht zuletzt Pilotfunktion für das Forschungsprojekt "Visualisierung der Geschichte der deutschen Berufsausbildung (VISUBA)" sein.

Dies zeigt die Ausstellung.

 

 webmaster@tum.de (12.11.2001)
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